Im Oktober 1969 wurde der erste Kommentargottesdienst in der Nürnberger Lorenzkirche gefeiert. Gäste aus gesellschaftlichen Bereichen von Politik bis Kultur treffen auf Theologen und beleuchten ein aktuelles Thema der Welt- und Lokalpolitik aus ihrem jeweiligen Blickwinkel. Ein Format, um das sich ein eifriges Team aus Ehrenamtlichen bemüht: Einer davon ist Wolfram Steckbeck, der weiß, warum der Kommentargottesdienst ewig aktuell ist.
Orgelvorspiel - Begrüßung - Lied - dann drei Kommentare (jeweils etwa zehn Minuten) - noch ein Lied, und vor dem Vaterunser und dem Segen eine Diskussion: Nach diesem Schema laufen seit 50 Jahren die Kommentargottesdienste in St. Lorenz ab. Wobei der Punkt "Diskussion" auch mal eine Stunde lang dauern kann. "Das kommt ganz auf das Thema an und auf die Redner", erklärt Steckbeck, der Mitte der 80er-Jahre zum Vorbereitungsteam stieß.
Auch Prominente diskutieren mit
Da hatte der als Anwalt für Asyl- und Ausländerrecht in Nürnberg tätige gläubige Christ schon einige Kommentargottesdienste besucht und war selbst als Kommentator zu seinem Fachbereich geladen worden. Damals wie heute eine Ehre für viele der Gäste, die das mittlerweile aus rund sieben regelmäßigen Helfern bestehende Team mit Ehrenamtlichen rund acht Mal im Jahr für einen Gottesdienst gewinnt.
Die Liste der "Promis", die in St. Lorenz schon gesprochen haben, ist lang und eindrucksvoll: Da waren die SPD-Politikerin Regine Hildebrandt, der Schriftsteller Walter Jens oder der Leipziger Pfarrer Christian Führer zu Gast, in jüngerer Vergangenheit immer wieder Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD). Oder der CSU-Politiker Günther Beckstein, mit dem Wolfram Steckbeck selbst als Kommentator zusammentraf. Anfang der 2000er-Jahre ging es dabei um den "Großen Lauschangriff", und Beckstein, damals noch stellvertretender Ministerpräsident, war ein Verfechter der staatlichen Abhörtaktiken, die er in seinem Statement gegen die konträre Meinung des Juristen Steckbeck verteidigte.
"Der Kommentargottesdienst hat in 50 Jahren viele Themen aufgegriffen, manche auch gesetzt", erinnert sich Stadtdekan Jürgen Körnlein. Angeregt worden sei das Format in der Aufbruchstimmung der 68er-Generation durch neue Gottesdienstformen wie beispielsweise das "Politische Nachtgebet" - eine Liturgie von Dorothee Sölle beim 82. Deutschen Katholikentag 1968 in Essen. Mit ein Ansporn für die "Taufpaten" des Kommentargottesdiensts, Pfarrer Georg Kugler, Christian Blendinger, Johannes Viebig und Friedrich Walz, sei bei der Erstauflage am 9. Oktober 1969 eine NPD-Kundgebung in Nürnberg gewesen. Der Titel damals: "Rückblick auf den schwarzen Freitag".
Themen werden kurzfristig festgelegt
Es sollten noch viele spannende Titel folgen, die um Themen kreisen, die heute noch aktuell sind. Darunter etwa 1978: "Was können Christen angesichts der Lage in Äthiopien tun?", 1981 "Wie können wir uns vor der Atomrüstung schützen?" oder 1987 "Wenn sie abgeschoben werden?...", als es um dem Umgang mit Asylbewerbern zwischen christlichem Gewissen und staatlichem Handeln ging. Im Februar 2015 stand der Kommentargottesdienst nach den islamistisch motivierten Anschlägen auf das französische Magazin "Charlie Hebdo" anlässlich des Karikaturenstreits unter Polizeischutz. Angela Merkels Aussage "Wir schaffen das" wurde im Oktober 2015 hinterfragt.
In der Regel findet der Kommentargottesdienst von Frühjahr bis Spätherbst immer am dritten Sonntag im Monat statt. Die Themen werden erst zwei bis drei Wochen vorher festgelegt und dementsprechend die Kommentatoren angefragt. "Das ist manchmal gar nicht so einfach. Vor allem, weil wir dann noch den Pfarrer und den Organisten organisieren müssen und die Flugblätter selbst machen und verteilen", erklärt Steckbeck die Arbeit seines Teams, das sich über neue Mitglieder freuen würde. Immer wieder frage man sich, ob das Format noch zeitgemäß sei. Dass das Grundanliegen des Kommentargottesdiensts zeitlos ist, davon ist Wolfram Steckbeck überzeugt. "Kirche muss bei den Menschen sein - und Menschen sind nun mal von Politik betroffen", meint der Jurist.