Altbundespräsident Joachim Gauck wirbt für "eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts". Es müsse "zwischen rechts - im Sinne von konservativ - und rechtsextremistisch oder rechtsradikal" unterschieden werden, sagte Gauck in einem "Spiegel"-Interview. Toleranz fordere, "nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel am liebsten hinauszudrängen".
Heimat ist auch menschlich
Gauck sagte in diesem Zusammenhang, die CDU müsse für Konservative "wieder Heimat werden". Früher seien Menschen, "für die Sicherheit und gesellschaftliche Konformität wichtiger sind als Freiheit, Offenheit und Pluralität" in der Partei beheimatet gewesen. Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz kritisierte die Forderung Gaucks. Der Wunsch nach gesellschaftlicher Konformität widerspreche dem Grundgesetz, schrieb Polenz auf Twitter.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lobte Gaucks Aussagen hingegen. "Ein gesunder Patriotismus, Heimatliebe oder das bewusste leben von Werten ist wichtig für unser Land. All das ist weder verstaubt noch verdächtig - es ist menschlich", schrieb Kretschmer auf Twitter.
Gauck sagte im "Spiegel"-Interview auch, die Gesellschaft müsse lernen, "mutiger intolerant zu sein". Es sei "Schluss mit Nachsicht, wenn Menschen diskriminiert werden oder Recht und Gesetz missachten". Toleranz enthalte "das Gebot zur Intoleranz gegenüber Intoleranten, gleichgültig ob sich diese politisch links oder rechts verorten oder dem islamischen Fundamentalismus angehören".
Der Altbundespräsident kritisierte, das die Wahl eines AfD-Abgeordneten zum Vizepräsidenten des Bundestages blockiert wurde. Natürlich habe jeder Abgeordnete das Recht, zu wählen, wen er wolle. "Aber ich frage mich, ob es politisch nützlich ist, jeden Kandidaten der AfD abzulehnen", sagte Gauck.
Offenheit im Diskurs
Es sei auffällig, "dass gewisse Themen nicht ausreichend von der Regierung versorgt wurden", sagte der frühere Bundespräsident mit Blick auf die Flüchtlingskrise ab 2015. "Man muss darüber sprechen können, dass Zuwanderung in diesem Maße nicht nur Bereicherung ist."
Der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach sich ebenfalls für mehr Offenheit in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen aus. Bei einer Veranstaltung in Berlin rief er die Bürger am Samstag dazu auf, insbesondere mit Menschen stärker ins Gespräch zu kommen, die andere Meinungen vertreten. "Nur wenn wir das in der ganzen Gesellschaft wieder lernen, kann Demokratie funktionieren", sagte Steinmeier bei einer Aktion zum "Tag der offenen Gesellschaft". Die dahinter stehende Initiative rief in diesem Jahr zum dritten Mal bundesweit Bürger dazu auf, in ihrem Umfeld Tafeln einzurichten, an denen Menschen mit verschiedenen Hintergründen, Meinungen und Interessen miteinander ins Gespräch kommen können.