Mit einem ökumenischen Festgottesdienst haben die beiden großen Kirchen am Samstag in Hannover ihre bundesweite "Woche für das Leben" eröffnet. Bei der Aktion, die seit 25 Jahren begangen wird, steht diesmal die Suizidprävention im Mittelpunkt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, forderte zum Auftakt in der Marktkirche mehr Zuwendung für Menschen, die sich das Leben nehmen wollten. Die "radikale Liebe Gottes" gelte auch ihnen und denen, die sich selbst getötet hätten.
Telefonseelsorge und ihr Engagement
"Wie könnte Gott die fallenlassen, die für sich nur noch den Todes-Ausweg gesehen haben, wo er ihre Verzweiflung doch so gut kennt", sagte Bedford-Strohm. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hob die Angebote der Kirchen für Menschen hervor, die am Leben verzweifelten, vor allem das Engagement der Telefonseelsorge. Laut Statistik nehmen sich jedes Jahr in Deutschland etwa 10.000 Menschen das Leben. Noch deutlich mehr versuchen es.
Bei einem "Fest der Begegnung" in der Marktkirche stellten sich Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Hilfsorganisationen vor, unter ihnen die Robert-Enke-Stiftung. Der Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke von Hannover 96 hatte sich im November 2009 das Leben genommen. Er litt unter einer Depression.
Selbstmörder sind nicht schuldig
Bedford-Strohm prangerte in seiner Predigt ein früheres Versagen der Kirche in Umgang mit Selbsttötungen an. "Es ist eine historische Schuld der Kirche, dass sie viel zu lange diese offenen Arme Gottes dementiert hat", betonte der bayerische Landesbischof. Sie habe Menschen, die sich das Leben genommen hätten, als Selbstmörder verdammt, ihnen das Begräbnis verweigert und so die Schuldgefühle der Angehörigen potenziert. Damit sei sie ihnen "das Zeugnis der Auferstehung schuldig geblieben".
Kardinal Marx betonte, Menschen zu begleiten und Leben zu schützen sei eine große Aufgabe für die Kirche. Im Blick auf Suizide hätten die Christen dabei nicht immer den richtigen Ton getroffen. Es gehe darum, verzweifelten Menschen zuzuhören, sie zu verstehen und die Zeichen und Signale für mögliche Todeswünsche wahrzunehmen. "Damit das Schweigen aufhört und die Tabuisierung", sagte Marx. Die Gesellschaft müsse "für das Thema wachwerden".
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezeichnete die Suizidprävention in einem anschließenden Gespräch als "Kernaufgabe staatlicher Sozialarbeit". So müssten Lehrer an Schulen genau hinschauen, wie es den Schülern gehe.
Tabus brechen
Der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) begrüßte die Angebote der Kirchen zur Suizidprävention. "Jeder Mensch kann im Laufe seines Lebens in eine Situation geraten, in der alles ausweglos erscheint", erklärte Gröhe in Berlin als Kirchen-Beauftragter der Unionsfraktion im Bundestag. Depression dürfe deshalb kein Tabuthema sein.
Menschen mit Todeswünschen schwankten hin und her zwischen dem Willen zum Weiterleben und dem Wunsch, tot zu sein, sagte die Leiterin des nationalen Suizidpräventionsprogramms, die Kölner Psychiatrie-Professorin Barbara Schneider, am Rande der Eröffnung dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wichtig ist, sie in dieser Ambivalenz abzuholen und auf die Seite des Lebens zu bringen." Menschen in einer solchen Situation seien froh, wenn sie auf Suizidgedanken angesprochen würden.
Die Aktionswoche wird bis zum 11. Mai in katholischen und evangelischen Kirchengemeinden begangen. Sie steht diesmal unter dem Motto "Leben schützen. Menschen begleiten. Suizide verhindern." Die Aktion wirbt seit 1994 immer zwei Wochen nach Ostern für die Anerkennung der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des menschlichen Lebens in allen Phasen.