In fast allen Bundesländern dürfen alle Menschen mit Behinderungen künftig oder bereits wählen gehen. Während entsprechende Gesetze in fünf Ländern bereits seit längerem gelten, einigten sich im März drei weitere Landtage auf ein inklusives Wahlrecht, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab. Die Landtage fünf weiterer Bundesländer beraten derzeit Gesetzentwürfe zum Wahlrecht für Behinderte, die dauerhaft voll betreut werden. Einzig aus dem Saarland lag keine Antwort des zuständigen Ministeriums vor.
Reform tritt zum 1. Juli in Kraft
Der Bundestag hatte Mitte März beschlossen, dass künftig auch behinderte Menschen mit Vollbetreuung wählen und für eine Wahl kandidieren dürfen. Gleiches gilt für schuldunfähige, psychisch kranke Straftäter, die im Maßregelvollzug untergebracht sind. Die Reform tritt allerdings erst zum 1. Juli in Kraft und ist damit zur Europawahl Ende Mai noch nicht wirksam. Mit der Gesetzesnovelle wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, das entschieden hatte, dass Behinderte nicht von Wahlen ausgeschlossen werden dürfen.
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein änderten ihre Kommunal- und Landeswahlgesetze bereits 2016 und waren damit Vorreiter unter den Bundesländern. Dieses Jahr zum ersten Mal wählen dürfen Betroffene in Brandenburg, Bremen und Hamburg, wo schon im vergangenen Jahr Änderungen beschlossen wurden. In Bremen dürfen so 57 Menschen mehr ihre Stimme geben, in Hamburg sind es rund 230. Für Brandenburg liegen keine Daten vor.
Auch die Landtage von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz verabschiedeten Ende März entsprechende Gesetzesänderungen, die rechtzeitig zu den anstehenden Wahlen im Mai in Kraft treten sollen. Während die Regelungen in Niedersachen sowohl für Kommunal- und Landtagswahlen gelten, betreffen sie in Rheinland-Pfalz zunächst nur Kommunalwahlen.
Rund 8.000 Menschen in Niedersachsen dürfen durch die neue Regelung bei den Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten im Mai zum ersten Mal wählen. In Rheinland-Pfalz können durch die Änderungen rund 2.200 Personen das erste Mal ihre Stimme abgeben.
Anfang März beschloss das Abgeordnetenhaus in Berlin eine Änderung des Landeswahlgesetzes, die voraussichtlich im April rechtskräftig wird. Etwa 700 bislang von der Wahl ausgeschlossenen Menschen erhalten dadurch das Recht zu wählen.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt könnten bald alle Menschen mit Behinderung ihre Stimme abgeben - entsprechende Gesetzesentwürfe werden derzeit beraten. Beschließen die Landtage die Änderungen, sollen sie bereits bei den Kommunalwahlen im Mai wählen dürfen, in Sachsen würde die Reform erst bei den Landtagswahlen am 1. September greifen. In Sachsen-Anhalt betrifft der Entwurf zunächst nur das Kommunalwahlrecht.
Falls es zur Reform kommt, dürfen rund 6.000 bislang von den Wahlen ausgeschlossene Baden-Württemberger im Mai zum ersten Mal wählen. In Sachsen würden von der Änderung rund 4.000 Menschen profitieren, in Sachsen-Anhalt etwa 2.500. In Thüringen wären es rund 860. Aus Mecklenburg-Vorpommern liegen keine Zahlen vor.
Auch Bayern bereitet sich auf eine Änderung des Wahlrechts vor, die Regierung hat aber noch kein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Mögliche Änderungen sollen dann für die Kommunalwahl im Mai kommenden Jahres gelten - sie würden etwa 20.000 Menschen ermöglichen, zum ersten Mal ihre Stimme abzugeben.
In Hessen, wo derzeit etwa 7.100 Menschen von den Wahlen ausgeschlossen sind, gibt es bislang noch keine konkreten Pläne zur Änderung des Wahlrechts. Im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen ist eine Überprüfung des Ausschlusses von Behinderten mit Vollbetreuung allerdings festgelegt.
Wie Behinderte künftig bei den Wahlen unterstützt werden, ist nicht einheitlich festgelegt. Eine besondere Schulung der Wahlhelfer gibt es etwa in Berlin und Bremen. Informationen in Leichter Sprache werden in fast jedem Bundesland verteilt. Wahlschablonen für Blinde und Sehbehinderte werden etwa in Brandenburg und Thüringen ausgegeben.