Der niedersächsische Flüchtlingsrat sieht die politische Einigung von Bund und Ländern in dem Konflikt um die Rückzahlung von Sozialleistungen für syrische Flüchtlinge kritisch. "Grundsätzlich sind wir erleichtert, dass es zu einer Einigung gekommen ist, allerdings bleiben viele Fragen offen", sagte Geschäftsführer Kai Weber am Freitag dem epd. "Das, was wir bisher wissen, heißt leider nicht, dass alle Verfahren mit einem Federstreich beendet sein werden."
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt, dass Bund und Länder für die Rückforderungen an Flüchtlingsbürgen aufkommen wollen. Der Bevollmächtigte des Rates der EKD in Berlin, Prälat Martin Dutzmann, sagte am Freitag, er sei erleichtert, "dass endlich eine Lösung für das Problem der Verpflichtungserklärungen gefunden wurde. Damit erkennen Bund und Länder das persönliche, auch finanzielle Engagement vieler Menschen für Geflüchtete an und beenden eine lange Zeit der Ungewissheit."
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte am Donnerstag in Berlin erklärt, Bund und Länder hätten sich auf eine Lösung verständigt. Er werde die Jobcenter anweisen, von den Rückforderungen abzusehen, sagte Heil. Wer vor dem Jahr 2016 rechtlich falsch beraten worden sei oder für wen die Rückforderung eine besondere Härte darstelle, müsse nicht zahlen. Nach Worten des Ministers übernehmen Bund und Länder die Kosten anteilig. Eine genaue Summe nannte er nicht.
Allein 2013 und 2014 haben Schätzungen zufolge rund 7.000 Menschen in Deutschland Verpflichtungserklärungen abgegeben, durch die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf sicherem Weg einreisen konnten. Die Bürgen waren davon ausgegangen, dass sie nur so lange für den Lebensunterhalt der Flüchtlinge aufkommen müssten, bis die Asylverfahren positiv beschieden seien.
Gerade die Formulierungen Heils, wonach derjenige nicht zahlen müsse, der "rechtlich falsch beraten worden sei" oder für den die Rückforderung "eine besondere Härte" darstelle, seien empfindliche Einschränkungen, die Raum für Interpretationen ließen, kritisierte Weber: "Es ist auch weiterhin eine Einzelfallprüfung angesagt, und die Flüchtlingsbürgen müssen sich weiter Sorgen machen."
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte am Donnerstag zwar angekündigt, zu einer Erstattungspflicht durch die Bürgen werde es jetzt grundsätzlich nicht mehr kommen. Weber wollte diese Sicht aber nicht uneingeschränkt teilen. Es sei genauso gut denkbar, dass die Ausländerbehörde in Einzelfällen argumentieren werde, sie habe ausreichend über die unterschiedliche Rechtsauffassung von Bund und Land Niedersachsen hinsichtlich der Dauer der Zahlungsverpflichtungen aufgeklärt.
Auch andere Initiativen von Flüchtlingsbürgen haben die Einigung zurückhaltend aufgenommen. So sei nur von den Forderungen der Jobcenter die Rede, nicht aber von den Ansprüchen der kommunalen Sozialämter an Flüchtlingsbürgen, sagte Rüdiger Höcker vom Kirchenkreis Minden. Diese machten aber ein Viertel aller Bürgschaften aus, erklärte Christian Osterhaus vom Koordinationskreis Bonner Bürginnen und Bürgen. Unklar sei auch, ob Bürgen die bereits gezahlt hätten, ihr Geld zurückbekommen, und was aus den zum Teil hohen Anwalts- und Gerichtskosten werde. Osterhaus und Höcker verlangten außerdem eine Präzisierung Heils hinsichtlich des Stichtages für den Verzicht auf Rückforderungen.
Bundesweit hatten Jobcenter von Flüchtlingsbürgen mindestens 21 Millionen Euro an Sozialleistungen zurückgefordert. Allein auf Niedersachsen entfällt mit 7,2 Millionen Euro rund ein Drittel der Forderungen. Viele Betroffene wehrten sich gerichtlich. Allein im Dezember belief sich die Zahl der Flüchtlingsbürgen-Verfahren an niedersächsischen Verwaltungsgerichten auf über 450.