Ein neues nukleares Wettrüsten könnte drohen, warnte der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Renke Brahms, im vergangenen Oktober. Kurz zuvor hatte US-Präsident Donald Trump angekündigt, er wolle wieder Mittelstreckenraketen bauen lassen, wenn Russland sich nicht an den INF-Vertrag von 1987 halte (INF für "intermediate nuclear forces" - nukleare Mittelstreckenwaffen). Die USA setzten der russischen Regierung Anfang Dezember ein Ultimatum von 60 Tagen, um die Zerstörung von SSC-8-Marschflugkörpern zuzusagen. Vor wenigen Tagen forderte der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Moskau erneut zum Dialog auf.
Außer Brahms' Warnung gab es keine offizielle Reaktion der Kirchen. Vor 40 Jahren hingegen standen Kirchenleute beim Protest gegen den nuklearen Schrecken in den vorderen Reihen. Friedenskreise gründeten sich in den Kirchengemeinden und vernetzten sich, und zwar in West- wie in Ostdeutschland. In der DDR lavierten die Kirchenleitungen zwar, um es sich mit der SED nicht zu verscherzen, aber ohne die Bereitschaft von Pfarrern, Türen zu öffnen, hätte es dort keine Friedensbewegung gegeben.
Bei militärethischen Fragen zurückhaltend
Der INF-Vertrag, eine der wichtigsten Wegmarken zur Beendigung des Kalten Kriegs, beendete eine Zeit der Angst. Der Nato-Doppelbeschluss von 1979 und die anschließende Nachrüstung hatte die Gefahr eines Atomkriegs wieder wachsen lassen, nachdem in den Jahren davor Entspannung zwischen den beiden Blöcken das politische Klima bestimmt hatte. Gegen die SS-20-Raketen der Sowjetunion wollte der Westen seine Pershing-II- und Tomahawk-Geschosse in Stellung bringen.
Nach den Worten des evangelischen Militärbischofs Sigurd Rink könnte die weitgehende Funkstille heute daran liegen, dass inhaltliche Kompetenz fehlt. "Bei militärethischen Fragen sind die Kirchen generell zurückhaltend", sagt er. Anders als in der Medizinethik, wo sie viel breiter aufgestellt sei, gebe es in der Kirche deutschlandweit "vielleicht 60 Personen, die sich mit diesen Fragen vertiefter auseinandersetzen".
Einfach nur für den Frieden zu sein, sei leicht, gibt Rink zu bedenken: "Bin ich doch auch." Es gebe beim Thema Militär aber eben auch Graubereiche. In anderen Ländern, etwa den USA, sei die Vorstellung viel verbreiteter, dass es neben einer Friedens- auch eine Militärethik gebe, und dass zwischen beiden ein Unterschied existiert.
Eine andere Zeit
Der Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann hat einen anderen Erklärungsansatz für das aktuelle Schweigen der Kirchen. "Es war eine völlig andere Zeit damals", sagt er. "Es war Kalter Krieg." Die Menschen hätten sich - anders als heute - unmittelbar bedroht gefühlt. "Wir wussten, wir müssen etwas tun, um uns nicht an der Zukunft unserer Kinder schuldig zu machen", erinnert sich der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete.
In der DDR hat, folgt man Eppelmanns Worten, ausgerechnet die Staatsmacht der Friedensbewegung einen erheblichen Schub verliehen. Erich Honecker habe sich zunächst mit den Sorgen der Menschen solidarisiert und gegen die Pershing und die Marschflugkörper der US-Streitkräfte gewettert. "Die SS-20 hat er gar nicht erwähnt", sagt Eppelmann. "Die muss er für Friedenstauben gehalten haben." Vielen Menschen in Ostdeutschland sei aber glasklar gewesen, dass Honecker etwas sehr Wichtiges vergessen hatte. "Wir begriffen, dass die Menschen im Westen auch für uns mitkämpften."
Auch Sabine Müller-Langsdorf, Referentin für Friedensarbeit beim Zentrum Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, geht davon aus, dass sich das Bedrohungsgefühl verändert hat: "Die Leute empfinden heute eher, dass ihre Zukunft durch die Klimaerwärmung gefährdet ist." Proteste wie die am Hambacher Forst hätten dies deutlich gezeigt.
Dennoch sei die nukleare Bedrohung aus dem öffentlichen Bewusstsein nicht ganz verschwunden. "Ich kenne niemanden, der Atomwaffen nicht als Bedrohung sieht", sagt die Friedenspfarrerin. Es gebe auch weiterhin Protest gegen sie. "Es sind natürlich nicht mehr die 500.000 im Bonner Hofgarten, die Protestformen haben sich geändert." Heute schrieben die Menschen eher Briefe an Abgeordnete, oder sie schlössen sich Online-Petitionen an.