Historiker: Kein schnelles Ende im ukrainischen Kirchenstreit

Historiker: Kein schnelles Ende im ukrainischen Kirchenstreit
Das Ringen um die Bildung einer vereinigten unabhängigen orthodoxen Kirche der Ukraine könnte sich nach Ansicht des Mainzer Religionshistorikers Mihai-Dumitru Grigore noch lange hinziehen. Das Ehrenoberhaupt der Orthodoxen, Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel mit Sitz in Istanbul, werde die Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche von Moskau anerkennen, sagte der Ostkirchenkundler am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Das Problem dabei ist, dass es nicht eine ukrainische orthodoxe Kirche gibt, sondern drei."

Die Emissäre des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel würden daher versuchen, die Gründung einer vereinigten Kirche der Ukraine durchzusetzen. Dieser neu gebildeten Kirche würde Bartholomäus dann offiziell die Autokephalie, also die Eigenständigkeit, zusprechen. Für einen schnellen Abschluss dieses Prozesses mache sich insbesondere der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko stark, der damit vor seiner angestrebten Wiederwahl 2019 punkten wolle. Gegen einen schnellen Erfolg spreche, dass die mit Moskau verbundene Ukrainische Orthodoxe Kirche eine Vereinigung mit dem nach der Unabhängigkeit gebildeten, international zunächst nicht anerkannten Kiewer Patriarchat bislang strikt ablehne.

Prozess könnte sich "ewig" hinziehen

Dass Bartholomäus bis zum Wahltermin eine abschließende Entscheidung fälle, sei alles andere als sicher. Der Prozess könnte sich auch "ewig" in die Länge ziehen, prognostiziert Grigore. Wenn die nach wie vor mit Moskau verbundene orthodoxe Kirche der Ukraine weiterhin eine Vereinigung mit den anderen Kirchen kategorisch ablehne, sei aber nicht ausgeschlossen, dass Konstantinopel letztlich auch eine neue, aus den beiden anderen Kirchen gebildete Nationalkirche anerkenne. In diesem Fall sei denkbar, dass die ukrainischen Behörden den Druck auf die verbliebenen Moskau-treuen Gemeinden weiter verstärken.

Vorwürfe der russischen Seite, Bartholomäus sei zur Anerkennung der kirchlichen Eigenständigkeit der Ukraine nicht berechtigt, wies Grigore als falsch zurück. "Versuche, Konstantinopel den Ehrenvorsitz unter den orthodoxen Kirchen streitig zu machen, stehen dem Moskauer Patriarchat nicht zu", sagte er. Der Ehrenvorsitz des Patriarchen von Konstantinopel sei schon zu Beginn der Kirchengeschichte vereinbart worden.

Andere orthodoxe Kirchen wollen neutral bleiben

Grundsätzlich sei die Entscheidung des Ökumenischen Patriarchats wohl nicht mehr umkehrbar und die Position der russisch-orthodoxen Kirche geschwächt: "Das Moskauer Patriarchat hat nicht viele Druckmittel." Die Mehrzahl der anderen orthodoxen Kirchen in der Welt werde versuchen, in dem Konflikt Neutralität zu bewahren.



Mit einem völligen Zerbrechen der orthodoxen Kirchengemeinschaft rechnet der Mainzer Wissenschaftler trotz des heftigen Konflikts um die Ukraine nicht. "Die Geschichte der orthodoxen Kirche ist voll von solchen Jurisdiktionsproblemen", sagte Grigore. Das Moskauer Patriarchat hatte am Montag wegen des Streits um die Ukraine die eucharistische Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel abgebrochen. Bislang gehören mit rund 150 Millionen Mitgliedern mehr als die Hälfte aller geschätzt rund 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit zur russisch-orthodoxen Kirche. Deren Kirchengebiet umfasst auch über 25 Jahre nach dem Zerfall der UdSSR noch einen Großteil der ehemaligen Sowjetrepubliken.