Die Fähigkeit zur historischen Wahrheit und zu einer selbstkritischen Erinnerungskultur sei eine fragile Errungenschaft, die die Europäer stärker beherzigen müssten, sagte Aleida Assmann. "Leider erleben wir aber gerade eher das Gegenteil."
Assmann verwies auf neue nationalpopulistische Töne in Deutschland. "Der Wunsch nach einem unverstellt heldenhaften Selbstbild führt zurück ins 19. Jahrhundert." Den AfD-Politikern Björn Höcke und Alexander Gauland warf sie vor, mit ihren Äußerungen zum Holocaust "Phrasen vom Schuldkult" öffentlich neues Gewicht zu geben. "Wer in Kategorien von Ruhm und Ehre denkt, bagatellisiert die deutsche Schuld an maßlosen Verbrechen."
Dass nationalpopulistische Töne insbesondere in Ostdeutschland neue Anhänger finden, erklärte Assmann mit unterschiedlichen Aufarbeitungen der Geschichte. Die alte Bundesrepublik habe - mit Verzögerung - die Auseinandersetzung mit den historischen Verbrechen betrieben. "In der DDR wurde einem die schmerzhafte selbstkritische Konfrontation mit der NS-Geschichte abgenommen". Dort sei der kommunistische Widerstand hervorgehoben worden, der jegliche Mitschuld ausschloss. "Wer in seiner Sozialisation das Ringen um Anerkennung der Wahrheit nicht so erlebt hat, ist womöglich schneller bereit, das Heil in nationalem Pathos zu suchen und die Erinnerung an eigene Größe zu feiern", sagte Assmann.