Die katholische Deutsche Bischofskonferenz will nach der Veröffentlichung der Studie zu sexuellem Missbrauch in der Kirche auf die Opfer zugehen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, kündigte am Dienstag in Fulda Gespräche mit den Opfern an. Die katholische Kirche werde Konsequenzen aus den vorgelegten Daten zum Missbrauch ziehen, sagte Marx bei der Vorstellung der Studie. Zuvor hatte er sich noch einmal bei den Opfern entschuldigt. "Als Vorsitzender der Bischofskonferenz muss ich um Entschuldigung bitten. Ich schäme mich für das, was in aller Nüchternheit auf dem Tisch liegt", sagte er.
Ein Forschungskonsortium wissenschaftlicher Institute aus Mannheim, Heidelberg und Gießen hatte Marx und dem Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz, dem Trierer Bischof Stephan Ackermann, zuvor die Studie offiziell übergeben. Sie nennt nach der Untersuchung von über 38.000 Personal- und Handakten 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe durch 1.670 Kleriker. Unter anderem bescheinigt sie der katholischen Kirche "klerikale Machtstrukturen", die bis heute seuxellen Missbrauch begünstigten. Als Motiv für die Täter weisen die Wissenschaftler ein "komplexes Zusammenspiel" von sexueller Unreife und verleugneter homosexuelle Neigungen in einer teils offen homophoben Umgebung aus.
Marx unterstrich, die Studie selbst sei nur ein Beitrag zur Aufarbeitung. Bei aller Trauer und Scham spüre er auch eine Stärkung durch die Ergebnisse: "Die Studie hilft uns, tiefer zu sehen, klarer zu erkennen, die richtigen Entscheidungen zu fällen, die dazu führen, dass Vertrauen wiedergewonnen werden kann." Marx betonte zugleich: "Der Weg ist nicht zu Ende." Zwar habe die Studie gezeigt, dass Zölibat und Homosexualität nicht allein für den Missbrauch verantwortlich gemacht werden könnten. Aber sie seien Teil des Zusammenspiels. "Das müssen wir angehen, darüber brauchen wir eine Diskussion", betonte Marx.
Die Bischöfe wollen laut Marx auf ihrer Herbstvollversammlung bis Donnerstag über weitere Schritte und die Zusammenarbeit mit den Opfern beraten. "Die Opfer werden nicht das Gefühl der Gerechtigkeit haben können, wenn sie nicht wissen, was war", sagte der Kardinal. Jetzt gehe es um Gespräche, "um so etwas wie eine Wahrheitskommission". Marx signalisierte zugleich Bereitschaft, über die Öffnung der Archive für unabhängige und teils staatliche Untersuchungen zu beraten. "Ich würde nicht sagen, die Archive sind verschlossen", sagte er. Das müsse man mit den einzelnen Diözesen besprechen.
Der Trierer Bischof Ackermann unterstrich, die notwendige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch könne die katholische Kirche nicht ohne Hilfe von außen leisten. Das habe die Studie gezeigt. Auch staatliche Kooperationen seien denkbar. Die Verantwortung für die Aufarbeitung müsse aber die katholische Kirche übernehmen. "Das kann man nicht wegdelegieren", sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz.
Bereits vor der Veröffentlichung hatten Vertreter aus Politik und Opfer-Initiativen weitere Aufklärung angemahnt. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) forderte eine "schonungslose Aufklärung". Die Opfer-Vertretung "Eckiger Tisch" erklärte, die Studie werfe ein Schlaglicht auf das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Minderjährige, ein großer Teil der Verbrechen bleibe jedoch im Dunkeln. Ihr Sprecher Matthias bekräftige die Forderung nach einer unabhängigen Aufarbeitung und einer angemessenen Entschädigung der Opfer.