Auch mehrere Tage nach dem gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen beim Stadtfest kommt Chemnitz nicht zur Ruhe. Im Internet tauchte ein Haftbefehl gegen einen der mutmaßlichen Täter der tödlichen Attacke auf. Wegen der Veröffentlichung und dem damit verbundenen Vorwurf der Verletzung von Dienstgeheimnissen habe die Staatsanwaltschaft Dresden Ermittlungen gegen Unbekannt aufgenommen, bestätigte Sprecher Lorenz Haase am Mittwoch. Die Behörde gehe davon aus, dass das veröffentlichte Dokument authentisch ist. Die Echtheit werde aber noch geprüft.
Ein Foto des mutmaßlichen Haftbefehls war zuvor in sozialen Netzwerken aufgetaucht, unter anderem auf der Facebook-Seite des Dresdner "Pegida"-Mitbegründers Lutz Bachmann. Die Echtheit ließ sich zunächst nicht überprüfen. Das Papier betrifft einen 22 Jahre alten Iraker. Dieser steht im Verdacht, gemeinsam mit einem 23-jährigen Syrer am Sonntag in Chemnitz den Deutschen mit kubanischen Wurzeln erstochen zu haben. Gegen die beiden mutmaßlichen Täter war am Montag Haftbefehl erlassen worden.
Staatsanwaltschaft prüft Echtheit
Wie das sächsische Justizministerium erklärte, werde das Veröffentlichen des Papiers schnellstens aufgeklärt und die notwendige strafrechtliche Konsequenz gezogen. Einigen Medienberichten zufolge soll das Dokument von der Initiative "Pro Chemnitz" in die sozialen Netzwerke gestellt worden sein.
Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte, das Vorgehen sei "völlig inakzeptabel". Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang". "Da haben wir ein dickeres Problem aufzuarbeiten", sagte er dem MDR. Es müsse klarwerden, dass bestimmte Dinge in der Polizei nicht mehr geduldet würden. "Es kann nicht sein, dass Polizeibeamte denken, sie könnten Dinge durchstechen, obwohl sie genau wissen, dass sie damit eine Straftat begehen", sagte der SPD-Politiker. Die entscheidende Frage sei jetzt, wie der Rechtsstaat gestärkt werden könne. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erklärte, dem Vorgang werde nachgegangen: "Sowas gehört sich nicht. Das ist eine Straftat. Wir werden die Sache aufklären."
Weitere Demonstrationen angekündigt
Die Lage in Chemnitz beschäftigte auch das Bundeskabinett in seiner Sitzung am Mittwoch in Berlin, wie die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer im Anschluss berichtete. Die Bundesregierung sei sich der Ernsthaftigkeit dieses Themas bewusst, sagte sie ohne über genaue Details der Beratungen zu berichten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Sachsen Unterstützung durch die Bundespolizei angeboten. Zudem kündigte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) an, am Freitag nach Chemnitz zu reisen.
Kretschmer und sein Landeskabinett laden für Donnerstagabend in Chemnitz zum "Sachsengespräch" mit Bürgern ein. Rechte Gruppen haben Proteste vor Beginn der Veranstaltung angekündigt. Die AfD und die fremdenfeindliche "Pegida"-Bewegung planen laut Mitteilung in den sozialen Netzwerken zudem für Samstag einen "Trauermarsch". Erwartet werden der sächsische AfD-Landesvorsitzende Jörn Urban sowie die AfD-Landeschefs Björn Höcke aus Thüringen und Andreas Kalbitz aus Brandenburg.
Im Zusammenhang mit der tödlichen Messerattacke in Chemnitz hat die Staatsanwaltschaft nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen einen sexuellen Hintergrund ausgeschlossen. Was die Ursache des Streites zwischen den beiden Gruppen war, müsse aber noch geklärt werden, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Chemnitz, Ingrid Burghart.
Der gewaltsame Tod des 35-Jährigen war am Sonntag und Montag Auslöser von Demonstrationen in Chemnitz mit bis zu 6.000 Teilnehmern, darunter etliche gewaltbereite Rechtsextremisten. Bei den Veranstaltungen wurde offen gegen Ausländer gehetzt und der Hitlergruß gezeigt. Rechte Gruppen hatten bei ihrer Mobilisierung behauptet, dass es einen sexuellen Hintergrund der Tat gebe.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der sachsen-anhaltische Ressortchef Holger Stahlknecht (CDU), fordert ein starkes Auftreten vom Staat. "Klar ist, dass nicht gewackelt werden darf und dass der Staat mit aller Härte durchzugreifen hat", sagte er am Mittwoch im Bayerischen Rundfunk. Unterdessen warnen sächsische Antirassismus-Initiativen vor einer Verharmlosung der Vorfälle. Nach Einschätzung der RAA-Opferberatung in Chemnitz gibt es eine starke rechte Szene in der Stadt. Bisher habe diese "mehr spontan in Alltag" agiert. Doch sie sei gut organisiert und vernetzt.