Die Verbandsgemeinde Nieder-Olm in Rheinhessen besteht aus der gleichnamigen Kleinstadt mit rund 10.000 Einwohnern und sieben umliegenden Ortschaften. Vor Ort gibt es den Firmensitz eines international bekannten Fruchtsaft-Herstellers, mehrere Schulen, eine Senioreneinrichtung und eine Behindertenwerkstatt. Außerdem gibt es seit kurzem eine Idee: Nieder-Olm will eine "inklusive Kommune" werden.
Teilhabe ist erklärtes Ziel von Behörden und Regierungen
Seit Jahren ist der Begriff der Inklusion in aller Munde. Eine Gesellschaft, in der behinderte und nichtbehinderte Menschen sich gleichermaßen komfortabel fühlen und am Leben teilhaben können, ist das erklärte Ziel von Behörden und Regierungen. Was das konkret für den Alltag einer Gemeinde bedeutet, will die "Aktion Mensch" austesten und hat in ganz Deutschland fünf Kommunen für ihr Modellprojekt "Kommune Inklusiv" ausgewählt - neben der Verbandsgemeinde Nieder-Olm beteiligen sich auch Rostock, Erlangen, Schwäbisch Gmünd und Schneverdingen.
Insgesamt 129 Bewerbungen waren zuvor eingegangen, bericht die Projektleiterin der "Aktion Mensch", Carolina Zibell. Dabei geht es auch um recht viel Geld: Maximal 600.000 Euro pro Kommune über einen Zeitraum von insgesamt fünf Jahren können bewilligt werden. Dass Nieder-Olm zu den Teilnehmern gehört, verwundert nicht, denn das Thema steht dort bereits seit einiger Zeit auf der Agenda: Schon 2011 verabschiedete der Gemeinderat einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention.
Es geht auch nicht nur um Rollstuhlrampen
Die Projektarbeit in Nieder-Olm wird von Gracia Schade koordiniert, einer energischen Frau, die selbst im Rollstuhl sitzt und die in der rheinland-pfälzischen Behinderten-Selbsthilfe schon lange einen Namen hat. Ihre Aufgabe sei es, Fäden zusammenzuführen, sagt sie. Schade will die Bemühungen von Politik, Ämtern und örtlichen Vereinen koordinieren - und von den Menschen mit Behinderungen erfahren, was ihnen in Nieder-Olm fehlt. "Es wird nie einen Punkt geben, an dem man sagen kann, jetzt ist alles inklusiv", lautet ihre Prognose.
"Es geht auch nicht nur um Rollstuhlrampen", sagt die Projektkoordinatorin und zählt auf, was in ihrer Kleinstadt und den umliegenden Dörfern schon alles angestoßen wurde. "Leichte Sprache" sei beispielsweise ein großes Thema für viele Menschen. Deshalb gibt es jetzt eine Kooperation mit Apothekern, die sich Zeit nehmen, um Patienten die Beipackzettel zu erklären. Schon seit einigen Jahren verschickt die Verbandsgemeinde ihre Bescheide an Bezieher von Grundsicherung auch mit einer "Übersetzung" vom Behörden-Deutsch in leichte Sprache.
Dazu bieten Ehrenamtliche jetzt Lese- und Rechentraining für Menschen mit Lernschwierigkeiten. In den Weinbergen der Umgebung wiederum treffen sich Sportinteressierte zum inklusiven "Lauftreff für alle". Dabei, heißt es auf der Projekt-Webseite, gehe es nicht um "Hochleistungssport". Außerdem würden die verbrauchten Kalorien am Ende der Runde in einer örtlichen Weinstube "wieder aufgefüllt". Viele Senioren wiederum wünschen sich auch eine Begleitung zu Freizeitaktivitäten, daher werden in der Gemeinde jetzt aktiv Freizeitassistenten angeworben.
Immer noch Ängste im Umgang mit Menschen mit Behinderung
In den Vereinen gebe es oft noch Ängste, wie man mit Menschen umgeht, die "ein wenig anders sind", berichtet Gracia Schade von ihren Erfahrungen. Dabei wäre es im Sinne des Inklusionsgedankens wichtig, dass Menschen mit Behinderung nicht nur an speziellen Angeboten teilnehmen könnten, sondern in den selben Gruppen wie alle anderen auch. Die Arbeit mit Sporttrainern und Musikschullehrern gehört deshalb ebenfalls zu ihrer Aufgabe, um dort Vorbehalte abzubauen. "Wenn ein Rollstuhlfahrer total gerne Fußball mag, wird er trotzdem nicht im regulären Verein spielen können", erläutert Schade. Denkbar wäre aber, dass er dort trotzdem besondere Aufgaben übernimmt und damit mehr wird als ein gewöhnlicher Zuschauer.