Die Zahl der unter Armut leidenden Kinder ist dem Deutschen Kinderschutzbund zufolge deutlich höher als bisher wahrgenommen wird. "Es ist ein Armutszeugnis für ein reiches Land: Etwa 4,4 Millionen Kinder sind von Armut betroffen, rund 1,4 Millionen mehr, als in der Öffentlichkeit bisher bekannt ist", teilte die Organisation am Mittwoch in Berlin mit. Das hätten eigene Berechnungen aufgrund vorliegender offizieller Zahlen ergeben.
Der Kinderschutzbund forderte die Bundesregierung auf, rasch mit Reformen gegen Kinderarmut vorzugehen. Perspektivisch müsse eine Kindergrundsicherung geschaffen werden, die eine Vielzahl von Leistungen zusammenfasst und sich am neu berechneten tatsächlichen Bedarf von Kindern orientiere, hieß es.
Die Organisation macht folgende Rechnung auf: Für drei Millionen Kinder zahlt der Staat Sozialleistungen, damit ihr Existenzminimum gesichert ist. Zählt man aber auch diejenigen Familien hinzu, die Anspruch auf Hartz IV, Kinderzuschlag oder Wohngeld haben, das aber nicht nutzen, ist die Zahl der in Armut lebenden Kinder deutlich höher. "Denn viele Familien beantragen Leistungen erst gar nicht, die ihnen aufgrund ihres geringen oder fehlenden Einkommens eigentlich zustehen", heißt es in der Mitteilung.
"Zählen wir alles zusammen, kommen wir konservativ gerechnet auf eine Dunkelziffer von 1,4 Millionen Kindern. Alle diese Kinder sind offiziell nicht arm, doch sie fallen durch das Raster unseres Sozialstaates, weil der Dschungel der Leistungen für viele Eltern undurchdringlich ist", erklärte Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers.
Genaueres geht laut Kinderschutzbund aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen vom Juni hervor. Ergänzende Leistungen bei Erwerbstätigkeit, sogenannte "aufstockende" Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV), nehmen geschätzt nur rund 50 Prozent der tatsächlich Berechtigten in Anspruch. Das betrifft rund 850.000 Kinder unter 18 Jahren, die bislang nicht als arm galten. Dazu kommen nach Berechnungen des Kinderschutzbundes noch 190.000 Kinder, deren Eltern nicht erwerbstätig sind und trotzdem nicht mit anderen Leistungen aufstocken.
"Oft liegt es daran, dass die Eltern mit den bürokratischen Abläufen überfordert sind oder sich schlichtweg dafür schämen", sagte Hilgers. "Diese Zahlen könnte die Bundesregierung auch klar nennen, aber das will sie offenbar nicht."