Sechzehn Jahre war er alt, der bayerische Gymnasiast und Frontsoldat Johann Baptist Metz, als er Ende 1944 mit einer Meldung vom Schützengraben zum Gefechtsstand seines Bataillons geschickt wurde. Zurückgekehrt fand er alle seine Kameraden tot vor. Sie waren einem Angriff von Panzern und Jagdbombern zum Opfer gefallen. "Ich konnte ihnen allen, mit denen ich noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene tote Antlitz sehen. Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei."
Metz ist heute einer der bedeutendsten Theologen Deutschlands. Am 5. August wird er 90 Jahre alt. Das Trauma von damals hat er unzählige Male in Vorträgen, Interviews, wissenschaftlichen Artikeln zitiert. Bei ihm ist verhältnismäßig selten von Erbsünde und privater Gottesbeziehung die Rede, umso mehr aber von der gesellschaftskritischen Kraft christlicher Hoffnung. Metz gilt als Begründer einer neuen, linken politischen Theologie.
"Theologie nach Auschwitz"
Er entwickelte seine "Theologie nach Auschwitz", die mit einem verzweifelten, empörten Schrei nach dem schweigenden Gott beginnt und von Zukunft und Erlösung spricht, ohne die triste Realität der Welt auszublenden. Die Shoah, der Massenmord an den Juden, stürzte laut Metz die gesamte klassische christliche Theologie um: Ging es Luther noch um die Frage, wie ich persönlich einen gnädigen Gott finde, so stelle sich jetzt das Problem, wie die Welt von solchen Bergen von Leid erlöst werden könne.
Metz: "Jesu erster Blick galt nicht der Sünde der anderen, sondern dem Leid der anderen." Die christlichen Kirchen hingegen hätten lange Zeit Sünde und Erlösung der Schuldigen in den Vordergrund gestellt.
Dabei ist Metz die Kirche als Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft, in der die biblischen Gottesgeschichten lebendig bleiben, enorm wichtig. Aber er stellt die modische "Wellness- und Wohlfühlreligion" infrage, die sich auf Ästhetik und unverbindliche intime Erfahrungen beschränkt.
Leidenschaft für Gott mit Leidempfindlichkeit für andere
Eines seiner Lieblingsbegriffe ist "Compassion" - für ihn ein sehr viel stärkerer Ausdruck als das folgenlose "Mitleid". Sie verbindet Leidenschaft für Gott mit Leidempfindlichkeit für andere. "Compassion" beinhalte zum Beispiel das provokante Angebot an Israelis und Palästinenser, den Blick für die Leidensgeschichte der jeweils anderen Seite zu öffnen. Der andere zentrale Begriff heißt "Autorität der Leidenden", und er hat mit der jüdischen Wurzel des Christentums zu tun: Christus bleibt der Bruder aller unschuldig Leidenden.
Johann Baptist Metz gehört derselben "Flakhelfergeneration" an wie sein alter Kontrahent Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI.. Am 5. August 1928 wurde er im oberpfälzischen Auerbach geboren, mit 16 Jahren aus der Schule heraus in den Krieg geschickt. 1948 begann er in Bamberg und dann in Innsbruck als Schüler von Karl Rahner Theologie und Philosophie zu studieren. Drei Jahrzehnte - bis 1993 - hatte er an der Universität Münster den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie inne, die Stadt ist seine Heimat geblieben.
Der Wiener Kardinal Franz König machte Metz zum Berater des von ihm geleiteten vatikanischen Sekretariats für die Nichtglaubenden. Metz arbeitete mit Linkskatholiken und Sozialisten zusammen, er nahm Impulse aus der Frankfurter Schule um Adorno, Horkheimer und Habermas auf und gilt als Vater der neuen politischen Theologie.
Fragen an Gott lebendig halten
Sie steht in deutlichem Kontrast zu der "alten" antidemokratischen politischen Theologie des Staatsrechtlers Carl Schmitt, die der Erbsünde eine zentrale Rolle zuweist: Der Mensch sei zutiefst schlecht und benötige deshalb eine Diktatur, die das Böse in ihm beherrsche. 1979 verhinderten der damalige Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger und der bayerische Kultusminister Hans Maier die Berufung ihres Landsmannes Metz als Professor an die Ludwig-Maximilians-Universität München.
Dem ebenso kritischen wie kirchentreuen Katholiken Metz geht es darum, das Leid in der Welt nicht vorschnell mit einem guten und allmächtigen Gott zu versöhnen, sondern die Fragen an Gott lebendig zu halten und in den globalen Verteilungskämpfen der Gegenwart Gerechtigkeit zu fordern. Metz: "Wer an den biblischen Gott Jesu glaubt, für den heißt Glauben Wachen und Aufwachen angesichts der Zustände unserer Welt! Selig sind die Trauernden."
Er kämpfte gegen die Reformunwilligkeit kirchlicher Institutionen und hat in den letzten Jahren den Zusammenschluss priesterloser Kirchengemeinden zu anonymen Großraumpfarreien kritisiert. Stattdessen solle man sicherstellen, dass die Gemeinden lebendige "Erzähl- und Erfahrungsgemeinschaften" bildeten.
Die breite Öffentlichkeit nahm Metz in den 70er Jahren als Mitglied der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer wahr, für die er das zentrale Dokument "Unsere Hoffnung" schrieb. Darin heißt es: "Wir werden unsere intellektuellen Bezweifler eher überstehen als die sprachlosen Zweifel der Armen und Kleinen und ihre Erinnerungen an das Versagen der Kirche."