An Anerkennung für ihre Arbeit sind sie gewöhnt, die Tafeln für Bedürftige - doch nun steht die Essener Tafel bundesweit in der Kritik. Nachdem bekanntgeworden war, dass sie derzeit nur Bedürftige mit deutschem Pass als neue Kunden aufnimmt, blieben am Freitag die Reaktionen nicht aus. Politiker, Verbände und Armutsforscher wandten sich gegen den Essener Beschluss. Es gab aber auch Verständnis für die Überlastung der ehrenamtlichen Lebensmittel-Verteiler.
Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), eine Gruppe von Menschen pauschal auszuschließen, fördere Vorurteile und Ausgrenzung. Es müsse klar sein, dass Bedürftigkeit das Maß sei "und nicht der Pass", erklärte Barley. Zugleich bescheinigte die SPD-Politikerin den Ehrenamtlichen "großen persönlichen Einsatz". Die Tafeln in Deutschland leisteten einen wertvollen Beitrag bei der Unterstützung der Schwächsten in Deutschland.
Der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU), äußerte sich ähnlich. "Nächstenliebe und Barmherzigkeit kennen grundsätzlich keine Staatsangehörigkeiten", sagte er.
Die Essener Tafel begründet ihr Vorgehen damit, dass der Anteil der Migranten unter den 6.000 Kunden der Tafel seit 2015 von rund 35 auf 75 Prozent gestiegen sei. Vor allem alte Leute und alleinerziehende deutsche Mütter hätten sich bei der Lebensmittelausgabe nicht mehr wohl und durch Zuwanderer bedrängt gefühlt.
Der Dachverband der Tafel zeigte Verständnis. Zwar sei die Bedürftigkeit und nicht die Herkunft entscheidend. Wenn einzelne Tafeln davon eine Ausnahme machen müssten, liege das an der Situation vor Ort, "die für die Ehrenamtlichen organisatorisch nicht mehr anders händelbar sind", erklärte der Verbandsvorsitzende Jochen Brühl.
Kein Verstoß gegen Gleichbehandlungsgesetz
Aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erscheint es zwar "fragwürdig, Menschen wegen ihres Flüchtlingsstatus' pauschal von der Vergabe von Lebensmitteln auszuschließen", erklärte ihr Sprecher auf Nachfrage. Doch verstoße die Essener Tafel nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Für Einrichtungen, die Spenden verteilen, gilt das Gesetz nicht, im Gegensatz etwa zu Banken, Diskotheken oder Schwimmbädern.
Die Vorsitzende des Sozialausschusses im Bundestag, Kerstin Griese (SPD), erklärte, die Essener Entscheidung mache sie "fassungslos". Auf Geschubse und Gedrängel mit dem Ausschluss nichtdeutscher Hilfesuchender zu reagieren, "ist eine nicht akzeptable Diskriminierung, die an Rassismus grenzt", sagte sie. Griese, die selbst aus Nordrhein-Westfalen kommt, forderte die Verantwortlichen auf, schnell Konsequenzen zu ziehen.
Die Wohlfahrtsverbände warnten vor einer Konkurrenz unter den Empfängern von Spenden. Caritas-Präsident Peter Neher sagte der "Osnabrücker Zeitung" (Samstag), die Essener Entscheidung bereite ihm Sorgen. Er warnte vor "einer populistischen Debatte, die hilfebedürftige Menschen verletzt". Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte, wenn ein Hilfsangebot Menschen anhand ihrer Herkunft ausschließe, "verschärft dies die Spaltung der Gesellschaft". Solche Fehlentwicklungen zeigten aber auch die Versäumnisse der Politik.
Schneider: Diskriminierung beenden
Der Geschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, forderte die Essener Tafel auf, die Diskriminierung "sofort zu beenden" und verlangte von der Bundesregierung höhere Sozialhilfeleistungen für Einheimische und Asylbewerber: "Ziel muss es sein, Tafeln überflüssig zu machen", sagte er.
Die Tafeln würden als Ersatz für staatliche Sozialleistungen benutzt, sagte der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge dem epd. Damit seien sie überfordert. Zu den 1,5 Millionen Bedürftigen zählten zunehmend auch Flüchtlinge. Butterwegge schlug vor, dass die Konflikte vor Ort entschärft werden könnten, wenn es beispielsweise für alte Leute andere Öffnungszeiten gebe als für Ausländer.
Bundesweit gibt es rund 940 Tafeln, die überschüssige Lebensmittel einsammeln und damit regelmäßig bis zu 1,5 Millionen Menschen versorgen.