Seit der Flüchtlingskrise von 2015 und dem Aufstieg der AfD sind auch Kirchengemeinden und kirchliche Funktionäre zunehmend verunsichert. Wie die Kirche ihre ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer vor Anfeindungen schützen kann, wie sie mit "Asylkritikern" in den eigenen Reihe umgeht und wann es angemessen ist, gegen inakzeptable Äußerungen und Vorgänge zu protestieren - auf all diese Fragen hat bislang kaum jemand eine überzeugende Antwort.
Matthias Blöser soll dabei helfen, den Zustand allgemeiner Ratlosigkeit zu überwinden. Der 36-Jährige Politikwissenschaftler ist dazu eigens von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) angestellt worden. "Am ersten Arbeitstag lag schon ein Dutzend Anfragen auf dem Schreibtisch", sagt der kirchliche Rechtspopulismus-Experte. Seine kirchliche Projektstelle gilt als einzigartig in Deutschland.
Die neue Aufgabe empfindet er wie auf den Leib zugeschnitten: Blöser war zuvor mehrere Jahre lang Referent der katholischen Friedensbewegung "pax christi" im Bistum Limburg und engagierte sich ehrenamtlich in einem antirassistischen Bündnis. Er soll künftig sowohl die Kirchenleitung in Darmstadt als auch die evangelischen Dekanate der Landeskirche in Hessen und Rheinland-Pfalz beraten.
Für die Anfangszeit liegt ein Arbeitsschwerpunkt in der Region um Büdingen im Wetteraukreis, die derzeit eine Hochburg der rechtsextremen NPD ist. Am Jahrestag von Adolf Hitlers Machtergreifung planten die Rechtsextremisten 2016 einen Fackelmarsch durch das pittoreske mittelalterliche Städtchen. Bei den vergangenen Kommunalwahlen erzielte die NPD in der Stadt mehr Wählerstimmen als FDP und Grüne zusammen und zog mit über zehn Prozent der Wählerstimmen in den Stadtrat ein.
Dort, in dieser "eigentlich normalen Stadt", plant Blöser beispielsweise einen Workshop, um Kirchenvertreter darin zu schulen, wie sie Fremdenfeinden in Streitgesprächen Paroli bieten. Er macht sich dabei keine Illusionen, das Weltbild gestandener Rechtsradikaler zu verändern: "Es geht um die, die dabeistehen." Deshalb will er auch ausloten, welche Dialogangebote die Kirche denjenigen Menschen machen kann, die einzelne "Aspekte eines rechten Weltbildes teilen". Und von denen gibt es auch in den eigenen Reihen eine ganze Menge: "Kirchenmitglieder sind nicht weniger anfällig."
In den vergangenen Jahren hat Blöser mehre Entwicklungen verfolgt, die er für besorgniserregend hält - zum Beispiel, dass immer mehr Menschen Hasskommentare im Internet unter ihrem Klarnamen verbreiten, und dass menschenfeindliche Ansichten auch in durchaus bürgerlichen Kreisen auf fruchtbaren Boden fallen. Und dann ist da noch die rechtskonservative AfD, die die Konfrontation mit den Kirchen sucht und sich zugleich von ihnen ausgegrenzt sieht.
Blöser hatte lange Bedenken gegen offizielle Gespräche zwischen Kirchenvertretern und Parteifunktionären und gegen die Einladung von AfD-Politikern zu Veranstaltungen wie dem Kirchentag. Seit dem Einzug der Partei in den Bundestag sei ein solcher totaler Boykott aber schwieriger zu rechtfertigen.
Daher findet er es vernünftig, mit denjenigen AfD-Abgeordneten das Gespräch zu suchen, die sich nicht durch offen menschenfeindliche Äußerungen diskreditiert haben: "Wir gegen die AfD - und wir sind dabei die Guten - das bringt uns nicht weiter." Pauschale Empfehlungen, wann Dialog und wann Abgrenzung und Protest angemessen sind, könne es nicht geben, sagt der Politologe. Darüber müsse in jedem Einzelfall entschieden werden.