Ein politischer Verband wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) sei keine Religionsgemeinschaft, "sondern der verlängerte Arm der Türkei in Deutschland", sagte Abdel-Samad am Montagabend bei einer Podiumsdiskussion der Verlagsgruppe Passau. Gemeinsam mit dem Ratsvorsitzenden der evangelische Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, Kardinal Gerhard Ludwig Müller und dem jüdischen Historiker Michael Wolffsohn diskutierte er unter anderem die Frage, wie politisch Kirche sein darf.
Die Kirchen hätten Ditib "politisch hofiert" und "salonfähig" gemacht, kritisierte Abdel Samad. Die Ziele des politischen Islam in Deutschland seien "niemals die Integration von Muslimen in die Gesellschaft". Der organisierte Islam lebe von der Kluft zwischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft. Dabei sei nichts gegen den interreligiösen Dialog einzuwenden, solange er "ehrlich" geführt werde. Doch gebe es ethnisch-nationale Vereine, die sich als Glaubensgemeinschaften tarnten. Erst spät hätten sich die Kirchen kritisch zu Ditib gestellt. Abdel-Samad forderte eine deutlichere Positionierung.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hielt Abdel-Samad entgegen, dass die Kirchen sich für einen "menschenrechtsaffinen Islam" in Deutschland einsetzen wollten. Immerhin lebten etwa fünf Millionen Muslime in Deutschland. Man müsse mit ihnen reden und diejenigen ermutigen, die für eine Trennung von Religion und Staat einträten, sagte der bayerische Landesbischof.
Aus Sicht von Bedford-Strohm ist Deutschland weiterhin ein christlich geprägtes Land, auch wenn es inzwischen eines mit vielen Gesichtern und Kulturen sei. "Wir sind nicht kurz vor dem Aussterben", sagte er zu den mehr als 300.000 Kirchenaustritten im Jahr 2016. Noch seien mit 46 Millionen Menschen weit mehr als die Hälfte aller Deutschen Mitglied in einer Kirche. Menschen entschieden sich heute "aus Freiheit" für eine Glaubensgemeinschaft und blieben nicht wie früher in der Kirche, weil sie beim Austritt mit Sanktionen rechnen müssten.
Bei der Diskussion im Rahmen der Reihe "Menschen in Europa" ging es darum, wie politisch Kirche sein darf und welche Anforderungen die Integration an Kirchen und Glaubensgemeinschaften stellt. Abdel-Samad forderte die Kirchen auf, sich auf ihre Spiritualität zu besinnen. "Je politischer die Kirche ist, desto leerer ist sie auch", sagte er. Integration könne nur mit einem reformierten Islam funktionieren, "einem Islam ohne Scharia, Dschihad, ohne Geschlechterapartheid und Anspruchsmentalität".
Für Wolffsohn ist das Christentum in Deutschland weitgehend zur "Folklore" verkümmert. Nur noch eine Minderheit der deutschen und westeuropäischen Christen wisse, warum Feste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten gefeiert würden. Es herrsche "religiöse Ahnungslosigkeit". Überspitzt könne man von einer "Heidenrepublik Deutschland" sprechen, sagte Wolffsohn. Er nehme die jüdischen Glaubensgemeinschaften davon nicht aus: "Wir leben nicht nur in einer entchristlichten Gesellschaft, sondern die Religionen insgesamt spielen in der Gesellschaft eine immer geringere Rolle."