"Die bewaffneten Auseinandersetzungen können beendet werden, aber der wahre Krieg wird um die Herzen der Menschen geführt", sagte der katholische Geistliche dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Denn Boko Haram war zunächst eine Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit, bevor die Idee zu einem islamistischen Staat aufkam, bevor die Gruppe zu dieser monströsen Gewalt übergegangen ist."
Trotz ihrer Brutalität müssten Boko-Haram-Kämpfer, die aus der Terrorgruppe ausstiegen, Unterstützung erhalten, betonte der Bischof der nordwestlichen Stadt Sokoto. "Es ist unsere Pflicht und Verantwortung, uns um ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu kümmern." Die Männer hätten nicht ihre Staatsbürgerschaft aufgegeben. Der 66-jährige Kukah war Mitglied der nigerianischen Wahrheitskommission, die sich von 1999 bis 2002 der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen von vier Militärdiktaturen und im Biafrakrieg gewidmet hat.
Der ursprüngliche Einsatz von Boko Haram gegen die Ungerechtigkeit in Nigeria habe viele Menschen angesprochen und sie zu Boko Haram hingezogen, sagte der Bischof. "Solange die Korruption in Nigeria anhält, solange die politische Klasse keine Lösungen für die Probleme der einfachen Menschen bereithält, kann das Militär zwar die kämpferischen Auseinandersetzungen gewinnen, aber dann wird diese Unzufriedenheit von einer anderen Gruppe aufgegriffen."
Kukah und die Mitarbeiter seines Instituts für Politik-Forschung und interreligiösen Dialog haben in den drei nördlichen Bundesstaaten, in denen Boko Haram vor allem wütet, die Bevölkerung nach möglichen Lösungen befragt. Ziel sei ein rechtlicher Rahmen für die Aufarbeitung der Gräueltaten, erläutert Kukah. Dabei gehe es den Menschen nicht ausschließlich um die Bestrafung der Täter. "Die Regierung muss ein bisschen kreativer werden."
"Gerechtigkeit ist mehr als ein richterlicher Schuldspruch"
Durch die Gespräche habe er gelernt, dass die Menschen Gerechtigkeit sehr unterschiedlich definierten: ein Dach über dem Kopf, fühlbare Sicherheit oder auch, dass die Kinder zur Schule gehen können. Entsprechend breit seien die Empfehlungen des Instituts an die Behörden ausgefallen. "Gerechtigkeit ist mehr als ein richterlicher Schuldspruch."
Letztlich könne nur so eine Versöhnung in der Gesellschaft erreicht werden, denn die Täter seien Nachbarn oder gar Familienangehörige, betonte der Bischof. "Ob Barcelona, London oder hier im Nordosten, die Menschen kennen die Attentäter als den netten Jungen von nebenan. Wenn die Regierung darauf besteht, dass das Problem rein militärisch gelöst wird, dann werden wir keine Lösung finden."