Fast jede Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat mittlerweile ihren eigenen Facebook-, YouTube- und Twitter-Account. Ob bei "Maybrit Illner", "Hart aber Fair" oder "Plusminus" - gern verweisen die Redaktionen auf ihre Facebook-Accounts, auf denen die Zuschauer kommentieren und mitdiskutieren sollen. Auf Facebook muss der Zuschauer allerdings erst einmal selbst einen Account haben. Hat er ihn nicht, sieht er so gut wie nichts. Mit dieser Praxis werben ARD, ZDF und Arte unentwegt und unentgeltlich für amerikanische Großkonzerne, die ihre größten Konkurrenten sind, und treiben ihnen Mitglieder zu. In seinem Essay "Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter" fragt Bert-Donnepp-Preisträger Christian Bartels nach der Strategie der öffentlich-rechtlichen Anbieter für den Umgang mit sozialen Medien und ob sie vielleicht sogar eine Haltung zu ihnen entwickelt haben.
"Sinnvoll für die öffentlich-rechtliche Medien mit ihrer dank des Gebühren-Privilegs großen Zukunftssicherheit wären eine transparente Diskussion und eine öffentlich gemachte Strategie über ihren Umgang mit den Netzwerken", empfiehlt Bartels. "Dass die zu 'Drittplattformen' verharmlosten Netzwerke, die auf allen Geräten visuell den Rahmen für die dort laufenden Inhalte bilden und deren Reihenfolge algorithmisch bestimmen, zunehmend als primäre Quelle der Inhalte gesehen werden könnten, ist nur eine der Gefahren." Ein weiteres Problem sei, "wenn öffentlich-rechtliche Sender Online-Diskussionen auf private, profitorientierte Plattformen verlagern, die zwar mit vielen Regierungen kooperieren, wenn es ihrem Profit dient, aber kalifornischem Recht unterstehen und Beweise, dass sie sich an deutsches und europäisches Recht halten, noch nicht erbracht haben. Problematisch auch, dass sie konkret zum Diskutieren auf Facebook auffordern, das alle Interessierten dann erst mal zum Registrieren auffordert. Gerade Facebook versteht Mitglieder so zu binden, dass anschließend sogar die, die dort viele „Fans" haben, um deren Aufmerksamkeit immer schärfer rivalisieren (oder Facebook dafür bezahlen) müssen, das gehört zu den Erfolgsrezepten. Ob ARD und ZDF ähnlich viele Nutzer von „Dritt-" auf ihre eigenen Plattformen ziehen wie sie umgekehrt welche wegschicken, wäre eine spannende und noch zu klärende Frage."
YouTube ist auch das Thema der Journalistin Senta Krasser. Dort sind Videos, die Meinung oder Informationen verbreiten, nicht besonders beliebt, weil Politik bei den eher jungen Nutzern „nicht ganz so cool" sei. Das halte eine kleine Truppe von digital natives jedoch nicht davon ab, auf ihren Kanälen jungen Leuten Politik näherzubringen, und zwar völlig anders, als man es bis dato vom klassischen TV gewohnt war. „Und so finden sich zwischen all den Jungs, die über 'höllisch bescheuerte Games' reden, und den Girls, die Schmink-Tipps geben, ein paar Nachwuchsjournalisten, die den Israel-Palästina-Konflikt erklären, Regierungssprecher duzen oder Obdachlose mit der Kamera in ihrem Alltag begleiten", schreibt Krasser. In ihrem Essay „YouTuber als Politikvermittler" stellt sie einige der YouTuber vor, die versuchen, mit ihren Formaten die fernseh- und politikabstinente Generation Y für Politik zu begeistern.
Außerdem porträtiert die Journalistin Juliane Wiedemeier die neue rbb-Intendantin Patricia Schlesinger, die seit gut einem Jahr versucht, den Berlin-Brandenburgischen Sender zu reformieren, und Heike Hupertz, die vor allem für die F.A.Z. und epd medien schreibt, geht der Frage nach, in welchen unterschiedlichen Formaten Büchersendungen im Fernsehen präsentiert werden. Zudem druckt das Jahrbuch Fernsehen die Keynote von Jan Moito vom Deutschen Produzententag am 9. Februar in Berlin ab, in der er die Bedeutung des deutschen Fernsehfilms im internationalen Vergleich thematisiert.
"Regulierung" seit Youporn und Pornhub hinfällig
In seinem Editorial weist Herausgeber Lutz Hachmeister auf das Versagen der deutschen Rundfunkaufsicht und Medienpolitik im Hinblick auf YouTube hin. Die würden sich "mit Hingabe" an Anbietern von YouTube-Kanälen wie "PietSmietTV" abarbeiten, während weltweit agierende Großkonzerne wie Google, Netflix und Amazon dem linearen Fernsehen in Deutschland ungehindert das Wasser abgraben. "Im Grunde ist jede 'Regulierung' von Bewegtbild-Übertragungen schon hinfällig geworden, seit mit Online-Marken wie Youporn oder Pornhub für alle und jeden Hardcore-Pornographie überall empfangbar ist", so Hachmeister. Das sei "eigentlich strafrechtsbewehrt, aber niemand kümmert sich darum. Und jenseits der putzigen Piet-Smiet-Medienpolitik haben Medienkonzentration und Marktdynamik durch erweiterte Aktivitäten der GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple), wie in der neuen Ausgabe von „Wer beherrscht die Medien?" (Halem, 2017) gezeigt werden konnte, noch einmal erheblich zugenommen. Schon rüstet sich auch die Deutsche Telekom für die neuen Zeiten – angekündigt sind Investments in dreistelliger Millionenhöhe für die Bewegtbild-Produktion (vulgo: Fernsehen, allerdings inklusive Sportrechte-Erwerb), ein aufsehenerregender Schritt über das bisherige „Entertain"-Angebot hinaus."
Das Jahrbuch Fernsehen erscheint am 03. August 2017. Als eines der wenigen Foren für eine unabhängige Medienkritik in Deutschland bündelt das Jahrbuch "die treffendsten Analysen mit den kreativsten Kritiken und zahllosen Hintergrundinformationen zum Genre" (Spiegel Online) und ist mit seinem aufwändigen und aktuellen Service- und Adressenteil für die Medienbranche „unverzichtbarer Wegbegleiter durchs Jahr" (NZZ).
Die Herausgeber – das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, die Medienkorrespondenz (Katholisches Medienhaus) und das Film Festival Cologne – stehen für die journalistische Qualität und medienpolitische Unabhängigkeit der Publikation.