Luther-Bild in der modernen Literatur überwiegend negativ
Das Luther-Bild in der modernen Literatur ist nach Ansicht des Theologen Horst Georg Pöhlmann "merkwürdig verfratzt". Aus dem umjubelten Heros des 18. und 19. Jahrhunderts sei im Verlaufe der vergangenen 100 Jahre so etwas wie ein Unhold geworden, sagte der emeritierte Osnabrücker Theologieprofessor im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Das ziehe sich durch von Thomas Mann über Gottfried Benn bis hin zu Martin Walser. Kaum "verfratzt" dagegen sei dagegen die Darstellung von Feridun Zaimoglu in seinem jüngsten Roman "Evangelio".
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Thomas Mann (1875-1955), der die Reformation einerseits eine "mächtige Befreiungstat" nannte, habe Luther angesichts seiner Betonung der Gewissensprüfung vorgeworfen, der Menschheit die "Selbstzerfleischung" gebracht zu haben, sagte Pöhlmann. Für Mann, der später in Luther auch eine Ursache des Hitler-Deutschland sah, sei der Reformator ein "Anti-Römer, Antieuropäer und Antisemit, ein Gottesbarbar" gewesen: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders."
"Sein negatives Urteil über Luther ist mir unbegreiflich", sagte Pöhlmann. Dass Luther sich auf dem Wormser Reichstag 1521 auf sein Gewissen berief und sein Leben riskierte, hätte Mann doch eigentlich beeindrucken müssen. Luthers Plädoyer für das Individuum, sein bleibendes Erbe, sei letztlich doch auch für Thomas Mann wichtig gewesen, sagte Pöhlmann mit Blick auf die Romane "Doktor Faustus" und "Zauberberg".
Für Gottfried Benn (1886-1956) habe die Reformation geradezu einen kulturellen Rückschritt bedeutet, so Pöhlmann. Der expressionistische Dichter habe die Reformation als "Niederziehen" des von genialen Ansätzen in Malerei und Kunst geprägten 15. Jahrhunderts "zugunsten düsterer Tölpelvisionen" und "dumpfer konfessioneller Quälereien" bezeichnet, zitierte Pöhlmann den expressionistischen Dichter. Benn amüsiere sich über Luthers schrankenlosen Individualismus und seine Selbstquälerei, bei der alles "Schuld und Sühne" werde.
Martin Walser habe Luther Inkonsequenz vorgeworfen, weil er die Wiedertäufer verurteilt habe, die erst durch ihn selbst entstanden seien, sagte Pöhlmann. "Wer hat den Münzer gemacht? Der Luther", zitiert Pöhlmann Walsers Äußerungen über den Begründer der Wiedertäufer-Bewegung, Thomas Münzer, und das Prinzip, ganz biblisch "ohne Amt, Eid und Eigentum" leben zu wollen. In seiner Abhandlung zur "Rechtfertigung" komme Walser mit dem Theologen Karl Barth zum Schluss, dass Glaube ein "Sprung ins Leere" und ein "Hohlraum" für die Gnade Gottes sei - eine Aussage, die wiederum auf Luthers Gnadenbegriff gründe.
Als eine der wenigen Ausnahmen unter mehrheitlich Luther-kritischen Literaten des 20. und 21. Jahrhunderts nennt Pöhlmann den von den Nazis in den Selbstmord getriebenen Dichter Jochen Klepper (1903-1942). Er habe erklärt, Luther sei Ersatz für den Kirchenbesuch.
Der jüngst erschienene Luther-Roman von Feridun Zaimoglu "Evangelio", der einen tobenden und von Ängsten gequälten Luther auf der Wartburg beschreibt, bringe auf den Punkt, worum es Luther gegangen sei: "um eine papstfreie Kirche, in der Christus allein das Oberhaupt ist."