Der Versuch Italiens, private Rettungsaktionen von Flüchtlingen im Mittelmeer einzuschränken, verstößt einem Bundestags-Gutachten zufolge gegen Völkerrecht. Die EU-Staaten stünden in der Pflicht, bei der Rettung von Menschen aus Seenot zusammenzuarbeiten, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Dazu gehöre auch, zivilen Schiffen mit Flüchtlingen an Bord einen Nothafen anzubieten. Damit wird die Position der Hilfsorganisationen gestützt, die sich weigern, einen italienischen Verhaltenskodex zu unterzeichnen.
Italiens Justiz wirft der deutschen Hilfsorganisation "Jugend Rettet" die Begünstigung illegaler Einwanderung vor. Ihr Rettungsschiff "Iuventa" war am Mittwoch in Hafen von Lampedusa beschlagnahmt worden. Die zuständige Staatsanwaltschaft erklärte, die Besatzung habe sich mit Schleusern abgesprochen, um Migranten im Mittelmeer aufzunehmen. Fotos, Telefonate und andere Indizien dokumentierten Begegnungen und Übereinkünfte mit Menschenhändlern, zitierte die römische Tageszeitung "La Repubblica" den zuständigen Staatsanwalt Ambrogio Cartosio.
Keine Rettung von Menschenleben, sondern Übergabe von Migranten
In einigen Fällen habe die "Iuventa" Menschen in Seenot gerettet. In den meisten Fällen habe sie jedoch agiert, ohne dass die Migranten in Gefahr gewesen seien. "Sie werden von den Schleusern eskortiert und unweit der libyschen Küste der Besatzung der Iuventa übergeben", erklärte der Staatsanwalt den Angaben zufolge. Damit handle es sich nicht um die Rettung von Menschenleben sondern um die Übergabe von Migranten.
"Jugend Rettet" gab zu den Vorwürfen zunächst keine Stellungnahme ab. Die Anschuldigungen könnten noch nicht bewertet werden, teilte die Organisation auf ihrer Website mit: "Wir hoffen auf zeitnahe und klärende Gespräche mit den italienischen Behörden." Die Organisation hat den Kodex nicht unterzeichnet.
Italien hatte gedroht, den Schiffen der privaten Seenotretter das Einlaufen in Häfen zu verweigern, wenn diese den Verhaltenskodex nicht unterzeichnen. In dem Gutachten schreiben die Wissenschaftliche Dienste, zwar hätten die EU-Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum. Dieser dürfe aber nicht dazu führen, dass die Koordinierung von Rettungsaktionen blockiert wird oder ins Leere läuft.
Die Dienste kommen zu dem Ergebnis, dass das im Kodex vorgesehene Verbot, Flüchtlinge auf größere Schiffe wie Frachter oder Containerschiffe umsteigen zu lassen, internationalen Abkommen widerspricht. Jeder Staat müsse dafür sorgen, dass der Kapitän des Hilfe leistenden Schiffes so schnell wie möglich die Geretteten absetzen und seinen ursprünglichen Kurs wiederaufnehmen kann, heißt es in dem Gutachten, über das die "Neue Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag) zuerst berichtete. Der Kodex, den die meisten Hilfsorganisationen nicht unterzeichnen wollen, sei zudem nicht rechtsverbindlich.
Nach Schätzungen werden derzeit mehr als 40 Prozent der geretteten Bootsflüchtlinge im Mittelmeer von privaten Hilfsorganisationen aufgenommen. Der Geschäftsführer von "Ärzte ohne Grenzen", Florian Westphal, bekräftigte im Deutschlandfunk die Weigerung seiner Organisation, den Kodex zu unterschreiben. Ausschlaggebend dafür sei das Verbot, gerettete Menschen an größere Schiffe zu übergeben. Zudem akzeptiere man keine bewaffneten Polizisten auf den Schiffen.
Unterdessen stößt die Entsendung italienischer Marineschiffe in libysche Gewässer zur Bekämpfung von Schleusern auf Widerstand. Der libysche General Chalifa Haftar, der Gegenspieler von Ministerpräsident Fajes al-Sarradsch, habe mit der Bombardierung italienischer Kriegsschiffe gedroht, berichtete der arabische Nachrichtensender Al Arabyia. Ausgenommen seien einzig Handelsschiffe.
Ein italienisches Marineschiff erreichte den Angaben zufolge bereits libysche Hoheitsgewässer. Der international anerkannte Ministerpräsident Sarradsch in Tripolis hatte Italien um Schiffe zur Unterstützung der libyschen Küstenwache gebeten. Das Parlament in Rom hatte die Entsendung am Mittwoch beschlossen. In einem späteren Schritt ist auch geplant, Bootsflüchtlinge nach Libyen zurückzubringen.