Wir schreiben das Jahr 2517. Ein Grund zum Feiern möchte man meinen, ganze 1.000 Jahre nachdem der Mönch Martin Luther und seine Wegbegleiter bewiesen haben, dass die Menschen sich nicht allen Konventionen beugen müssen. Doch die Erde ist zur Bühne eines Trauerspiels verkommen. Kriege, Müll und Klimawandel haben ihr stark zugesetzt, die Menschen leben in voneinander isolierten Sektoren. Wen juckt da schon dieser alte Hut mit der Reformationsbewegung?
"Die Idee ist herauszufinden, ob wir einzeln und in der Gruppe so mutig sein können wie Luther damals 1517", sagt Stefanie Schulz, während sie durch die schwarze Zeltstadt am Rande Wittenbergs führt. Sie ist eine der Programmverantwortlichen im zehnten Bundeslager der Christlichen Pfadfinder (VCP), das sich in diesem Jahr anlässlich der Reformationsfeierlichkeiten in der Lutherstadt angesiedelt hat. Am Donnerstagabend wurde das zehntägige Programm eröffnet. Mit dem Planspiel, das 500 Jahre in die Zukunft blickt, wollen Schulz und das Orga-Team die rund 4.000 jungen Pfadfinder erfahren lassen, was Courage bedeutet.
Die Welt besser zurücklassen
In 13 Themenbereichen zum Motto "Weitblick" werden die Jugendlichen, die zwischen 13 und 20 Jahre alt sind, mit realen Problemen konfrontiert, zum Beispiel Ressourcenknappheit oder Monopolisierung. "Wir wollen die jungen Erwachsenen ermutigen hinzusehen, was auf unserem Planeten gerade nicht so gut läuft", so Schulz. "Und ihnen zeigen, wie man sich wofür einsetzen kann, um Missstände zu verändern." Dabei folge der VCP dem Prinzip des Gründers der Pfadfinderbewegung, Baden Powell, der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts angeregt hatte, die Welt besser zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben.
Seit Powell hat sich zu vielen Konfessionen ein eigener Pfadfinderverband formiert: evangelisch, katholisch, muslimisch, auch einen religiös unabhängigen gibt es. Die VCP-Bundesvorsitzende Jule Lumma betont, die Pfadfindergruppen in ihrem Verband hätten durchaus ein evangelisches Profil, aber seien dennoch für alle offen. Viele niedrigschwellige Angebote sorgten dafür, dass junge Menschen mit verschiedenen Überzeugungen ohne Benachteiligung daran teilhaben könnten. "In den Gruppen ist gelebte Ökumene", sagt die 34-Jährige. Das wichtigste sei die Erfahrung, dass sich alle Jugendlichen ausprobieren und etwas über sich lernen können; und vielleicht auch über ihre eigene Spiritualität.
Respekt gegenüber Pluralismus findet sich auch am Esstisch wieder. Caspar von Schoeler ist für die Speisung der 4.000 verantwortlich. Bereits vor ihrer Anreise konnten die Gruppen ihre Essenspläne aus regionalen Gerichten zusammenstellen. Den Großeinkauf erledigen Schoeler und sein Team und packen die Rationen für die Gruppen täglich abholfertig in zwei Kisten. Es gibt etwa Mangold-Curry und Quarkkeulchen, halal, kosher und vegetarisch zugleich. Die Zeiten, in denen kiloweise Nudeln mit Fertigsoße ausgegeben wurden, sind offenbar vorbei.
Der 30 Hektar große Platz für das Bundeslager liegt auf einer Grünfläche im Nordosten Wittenbergs. Allein die Verpflegungsstation ist ein 2.000 Quadratmeter messendes Festzelt. 15 Kilometer Stangenholz sind in den Zelten verbaut. Zur Ausstattung des hygienischen Bereichs zählen 85 Toilettenhäuschen, 2,5 Kilometer Frisch- und Abwasserleitungen sowie 256 Wasserhähne. In dem eigenen Lagerhospital stehen für den medizinischen Notfall zehn Ärzte, zehn Sanitäter, fünf Krankenpfleger und ein Rettungswagen bereit.
Vom Geist der Gemeinschaft begeistert
In der Regel findet das Bundeslager der Pfadfinder alle vier Jahre statt. Anlässlich des 500. Reformationsjubiläums wurde der Turnus unterbrochen und das große Event um ein Jahr vorgezogen. Für die Dauer des Camps hat sich prominenter Besuch angesagt, wie die mitteldeutsche Landesbischöfin Ilse Junkermann und die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann. Den Anfang machte am Freitagvormittag der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Schirmherr des Lagers, Heinrich Bedford-Strohm.
Besonders beeindruckt zeigte er sich von den Themenschwerpunkten. "Es ist ganz wichtig für junge Leute, dass sie für Themen wie den Kampf gegen Rechtsextremismus und -populismus sensibilisiert werden", sagte Bedford-Strohm. "Was mich ganz besonders begeistert, ist der Geist der Gemeinschaft, den man hier spürt." An die Pfadfinder richtete er die Botschaft: "Seht die Welt nicht als Ort, der den Bach runtergeht!"
Der Verband Christlicher Pfadfinder zählt nach eigenen Angaben bundesweit rund 47.000 aktive Mädchen, Jungen, Frauen und Männer und etwa 5.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Zu den Werten der evangelischen Pfadfinder gehören die Erziehung von jungen Menschen zu Demokratiefähigkeit und Frieden, der Schutz von Natur und Umwelt und die Orientierung am Evangelium, sagen sie. Ganz oben stehe aber auch vor allem eines: der Spaß am Abenteuer.