"Ich bin sehr frustriert nach Hause gegangen", sagt der 73-Jährige, der dem Gremium bereits seit der Gründung im Jahr 2005 als Vertreter der evangelischen Kirche angehört. Verzagen lassen ihn solche Misserfolge nicht: "Es ist ein Segen, dass die Härtefallkommission eingerichtet wurde, weil sie viel Schmerz und Leid verhindert hat."
Dass er schon vor neun Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde, hat Vetters Engagement für Ausländer- und Flüchtlingsthemen keineswegs geschmälert: In seinem Wohnungsflur liegen bereits die dicken Umschläge mit den Dokumenten der zehn nächsten Fälle aufgereiht. Die Härtefallkommissionen der Bundesländer sind oft die letzte Hoffnung für ausreisepflichtige Ausländer. Wenn nach geltender Gesetzeslage kein rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland mehr möglich ist, können die Kommissionsmitglieder einzelne Menschen in humanitären Ausnahmefällen doch noch vor der Abschiebung bewahren. Die Kommission in Mainz wird immer dann aktiv, wenn ein Mitglied einen entsprechenden Antrag stellt.
"Es gibt keine Fraktionen in der Härtefallkommission"
Von Abschiebung bedrohte Ausländer, ihre Anwälte oder Unterstützerkreise müssen daher in einem ersten Schritt ein Kommissionsmitglied überzeugen, das dann in der Kommission um eine Mehrheit für ein sogenanntes Härtefallgesuch wirbt. Dabei sei es keineswegs so, dass Behörden- und Flüchtlingshilfe-Vertreter ständig über Kreuz liegen, sagt Friedrich Vetter, der früher lange als Seelsorger im rheinland-pfälzischen Abschiebegefängnis in Ingelheim tätig war: "Es gibt keine Fraktionen in der Härtefallkommission." Auch er selbst lehne manche Anträge ab, in anderen Fällen gebe es einstimmige Beschlüsse.
Dabei muss alles sehr schnell gehen. Denn wenn die Ausländerbehörde bereits ein Ticket für den Abschiebeflug gebucht hat, kann die Kommission nicht mehr aktiv werden. Auch korrigiert die Runde keine Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. "Wir sind kein Super-Bundesamt", stellt Vetter klar. Schwere Erkrankungen, die im Asylverfahren wegen nicht detailliert genug verfasster Gutachten nicht berücksichtigt wurden, können aber durchaus noch eine Rolle spielen, wenn es um einen humanitären Aufenthalt geht. Die Unterstützer der Betroffenen müssen sich dann im Höchsttempo um aussagekräftige Unterlagen bemühen.
Vertreter der Kommunalverbände boykottieren Sitzungen
Selbst in Rheinland-Pfalz, wo die regierende Ampel-Koalition eine vergleichsweise humane Flüchtlingspolitik verfolgt, geht es nicht ohne Spannungen ab. Wie das zuständige Integrationsministerium mitteilte, boykottieren die Vertreter der Kommunalverbände seit einiger Zeit die Sitzungen der Härtefallkommission. Die Runde fasste nach Ansicht der Verbandsfunktionäre wohl zu viele positive Beschlüsse. Vetter sieht das Gremium trotzdem weiter als wichtigen Baustein des Ausländerrechts. Für manche Fälle, die früher in der Kommission landeten, gebe es mittlerweile aber andere rechtliche Lösungen, etwa für abgelehnte Asylbewerber in einer Berufsausbildung oder für gut integrierte Schüler.
Seine Rolle als Kirchenvertreter sieht der Mainzer Pfarrer vor allem darin, für das Kindeswohl zu streiten. Zwei tragische Geschichten haben es dem Mainzer Pfarrer in jüngster Vergangenheit besonders angetan. Da war zum einen die Familie eines Kosovaren, dessen Frau durch erlittene Gewalterlebnisse in der Heimat schwer traumatisiert war. Der Familienvater war bei einem Freundschaftsspiel auf dem Fußballplatz plötzlich umgekippt und gestorben. Selbst der Ortsbürgermeister machte sich dafür stark, dass die Witwe und ihrer Kinder in Deutschland bleiben durften. Die Härtefallkommission verhinderte mit ihrem Votum eine Abschiebung.
Kindern wird die Mogelei der Eltern zum Verhängnis
Der zweite Fall betraf die Familie aus Aserbaidschan. Die Eltern hatten nach ihrer Flucht im Jahr 2003 in Deutschland falsche Personalien angegeben. Die älteste Tochter des Paares war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Jahr alt, mittlerweile besucht sie ebenso wie ihr in Deutschland geborener Bruder das Gymnasium. Nach 13 Jahren Aufenthalt wurde auch den Kindern die Mogelei der Eltern zum Verhängnis. Mit einer Geldstrafe war der Betrug nicht erledigt, Eltern und Kinder werden Deutschland zwangsweise verlassen müssen.
Friedrich Vetter hatte sich vergeblich dafür eingesetzt, der Familie aufgrund der langen Aufenthaltsdauer und der gelungenen Integration der Kinder trotz Identitätsschwindel der Eltern einen weiteren Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen: "Ich kann doch nicht am Sonntag in der Kirche Vergebung predigen und in der Härtefallkommission sagen: 'Nein, dem wird nicht vergeben.'" Allerdings, seufzt der Pfarrer, sei er mit seiner Botschaft von der Chance auf Neuanfang in der Runde oft nicht mehrheitsfähig.