Für die Bevölkerung in Afghanistan hat sich die Sicherheitslage laut einem UN-Bericht im vergangenen Jahr deutlich verschlechtert. Bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und radikal-islamischen Milizen wie den Taliban seien 3.500 Menschen getötet und mehr als 7.900 verletzt worden, teilten die Vereinten Nationen am Montag in Kabul mit. Aufgrund der schwierigen Lage verzichten einige Bundesländer auf Abschiebungen in das Land.
Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Grund, ihre grundlegende Haltung zu Rückführungen nach Afghanistan in Frage zu stellen. Im vergangenen Jahr seien mehr als 3.000 Menschen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in diesem Zusammenhang. Die Regierung begrüße diese Entwicklung, das Engagement zur Förderung der freiwilligen Rückkehr werde ausgebaut. Bereits im Oktober beschloss das Bundesinnenministerium ein Abkommen mit Afghanistan über die Zusammenarbeit im Bereich Migration. Zudem gibt es seit Februar ein Programm, das Asylbewerber finanziell unterstützt, wenn sie Deutschland freiwillig wieder verlassen. Für das Programm "StarthilfePlus" stehen in diesem Jahr 40 Millionen Euro zur Verfügung.
Bundesländer zweifeln an Sicherheitslage
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums wies darauf hin, dass die Länder "sehr transparent und fortlaufend" über Erkenntnisse der Bundesregierung zur Sicherheitslage in Afghanistan informiert würden. Abschiebemaßnahmen seien das Ergebnis vielschichtiger Prüfungen.
Offenbar haben mehrere Landesregierungen Bedenken, Asylbewerber zurück nach Afghanistan zu schicken. Wie die Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montag) berichteten, zweifeln nach Schleswig-Holstein und Berlin auch Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz an der Sicherheitslage im Land. Laut Bericht hatte das Innenministerium in Hannover mitgeteilt, dass derzeit aufgrund der "nicht hinreichend geklärten Sicherheitslage" Rückführungen nach Afghanistan "im Zweifel bis zur Klärung der Sicherheitslage zurückgestellt werden". Dies gelte nicht für ausreisepflichtige Straftäter. Auch aus Rheinland-Pfalz würden derzeit nur Straftäter und Gefährder nach Afghanistan abgeschoben, hieß es weiter. Die Bremer Innenbehörde beruft sich ebenfalls auf die Sicherheitslage.
Die Vereinten Nationen gehen von einem neuen Höchststand für Tote und Verletzte in Afghanistan seit Beginn der Erfassung im Jahr 2009 aus. 2015 waren insgesamt rund 11.000 Tote und Verletzte gemeldet worden. Unter den Toten und Verletzten waren den Angaben zufolge 2016 mehr als 3.500 Kinder. Damit sei auch die Zahl der betroffenen Jungen und Mädchen höher als in den Jahren zuvor. Anti-Regierungs-Kämpfer, hauptsächlich die Taliban, seien für zwei Drittel aller Opfer verantwortlich. Die UN warnten auch vor einem Erstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Afghanistan.
Laut Bundesinnenministerium leben derzeit etwa 11.900 ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige in Deutschland, darunter sind etwa 10.300 Geduldete. Im Jahr 2016 sind mehr als 3.300 afghanische Staatsangehörige freiwillig zurückgekehrt. Afghanistan liegt sowohl 2015 als auch 2016 auf Platz 2 der Herkunftsländer für Asylbewerber.
Wehrbeauftragter: Afghanistan kein sicheres Land
Schon im Dezember hatte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD) die Abschiebung von Afghanen in ihre Heimat kritisch gesehen. "Afghanistan ist kein sicheres Land", hatte Bartels gesagt, nachdem in der Nacht zum 15. Dezember erstmals 34 Afghanen per Sammelabschiebung von Deutschland nach Kabul geflogen worden waren, darunter nicht nur Straftäter, sondern auch abgelehnte Asylbewerber. Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) argumentiert hatte, das Vorgehen sei notwendig, um das Asylsystem funktionsfähig zu halten, war die Aktion bei Flüchtlingsorganisationen und Kirchen auf Protest gestoßen
Der Wehrbeauftragte räumte ein, der jahrelange Bundeswehreinsatz in Afghanistan sei längst nicht so erfolgreich wie gewünscht verlaufen. Daher habe die internationale Gemeinschaft beschlossen, sich weiter um die Stabilisierung des Landes zu bemühen. Bartels wandte sich gegen die Argumentation der Bundesregierung, dass es in Afghanistan sichere Regionen gebe, in die abgelehnte Asylbewerber zurückkehren könnten. "Insgesamt ist auch 2016 die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße zwischen afghanischen Kräften und Taliban gestiegen", sagte Bartels. Auch die Zahl der Binnenflüchtlinge nehme zu.