Kirchenhistoriker Wriedt: Reformationsfeiern heroisieren Luther

Kirchenhistoriker Wriedt: Reformationsfeiern heroisieren Luther
Das Wichtigste an der geplanten Feier des Jubiläums sei die Herausgabe der neu überarbeiteten Lutherbibel, ergänzte Wriedt. "Sie ist ein großartiger Versuch, Luther alltagstauglich zu machen."

Der Frankfurter Kirchenhistoriker Markus Wriedt hat die Feiern der evangelischen Kirchen zum bevorstehenden 500. Reformationsjubiläum am 31. Oktober 2017 kritisiert. "Martin Luther wird in Kategorien des 19. Jahrhunderts heroisiert", sagte Wriedt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit der Darstellung des Reformators als einzelnem Aufrechten gegenüber Kaiser und Papst, einsamem Denker auf der Wartburg und Anführer der evangelischen Bewegung werde ein Heldenbild im Stil des 19. Jahrhunderts gemalt.

Martin Luther (1483-1546) sei auch nicht der Entdecker des Individuums oder des Gewissens gewesen, wie oft behauptet werde, erklärte der Kirchenhistoriker. Der Reformator sei mit seinem Denken noch im Spätmittelalter verwurzelt gewesen. Erst die Aufklärung und der Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert hätten mit der Betonung der Vernunft beziehungsweise des persönlichen Glaubenszeugnisses den Einzelnen und seine Gewissensentscheidung hervorgehoben.



Die gegenwärtigen Feiern verzerrten das Anliegen Luthers, kritisierte Wriedt. Dem Reformator zufolge sollten die Gläubigen die Bibel lesen und "ihr Leben vom Wort Gottes durchdringen lassen". So könnten sie Heilsgewissheit auch in Krisen gewinnen. Dieses Anliegen sei auch in der Sinnkrise der Moderne aktuell, sagte Wriedt. Der Erfahrung des Einzelnen, globalen Gefährdungen scheinbar ohnmächtig ausgeliefert zu sein, setze Luther entgegen: "Gott erfährt in Jesus Christus diese Verlassenheit selbst. Daraus befreit nach der Kreuzigung die Auferweckung aus der Gottverlassenheit, dem Tod." Selbst angesichts von Terror und Krieg halte Gott am Menschen fest.

In den Reformationsfeiern gehe weiterhin unter, dass nach Luther "der gekreuzigte Christus sich im Alltag erweist", sagte Wriedt. Konkret könne dies in der Heilung von einer Krankheit, in Zuversicht in der Phase von Orientierungslosigkeit oder im Vertrauen eines langjährigen Ehepartners erfahren werden. Menschen in Sinnkrisen zu begleiten und zur Lektüre der Bibel anzuleiten, wäre eine angemessene Weise des Reformationsgedenkens.

Das Wichtigste an der geplanten Feier des Jubiläums sei die Herausgabe der neu überarbeiteten Lutherbibel, ergänzte Wriedt. "Sie ist ein großartiger Versuch, Luther alltagstauglich zu machen." Dies schließe an die Reformation an: "Ihr wichtigster Effekt war die Durchdringung des Lebens mit der deutschen Sprache der Bibel." Diese sei auch in Liedern und Gedichten zum Allgemeingut und prägend für die Volkssprache geworden.