Essen, Bielefeld (epd). Eine zunehmende Zahl von Menschen sei auf Spenden angewiesen, sagte Fabian Kessl, Professor der Universität Duisburg-Essen, dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Das Almosengeben erlebt eine neue Konjunktur." Dies sei aber auf Dauer keine Perspektive. Kessl leitet die zweitägige internationale Tagung "Die neue Mitleidsökonomie", die am Donnerstag und Freitag an der Universität Bielefeld stattfindet.
Als Ursache für die wachsende Zahl armer Menschen sieht Kessl auch eine gesellschaftliche Entwicklung, "die eine massive Konzentration von Vermögen bei ganz Wenigen mit sich bringt". Die Angebote der Mitleidsökonomie seien zwar als Nothilfe sinnvoll, aber sie lösten das Problem der Armut nicht. "Ohne eine Diskussion über Umverteilung werden wir da nicht weiterkommen."
Tafeln symbolisch schließen
Es habe sich in den vergangenen Jahren eine neue Qualität von Armutslinderung etabliert, stellte Kessl bei der Befragung von knapp 850 karitativen Angeboten in 45 Kommunen fest. "Denn historisch betrachtet gab es Kleiderkammern oder Suppenküchen früher nur im Bereich der Nothilfe, vor allem für Menschen, die auf der Straße gelebt haben." Inzwischen müssten aber vielfach auch berufstätige Menschen armutslindernde Angebote in Anspruch nehmen. "Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, dass ein Job so viel Geld einbringt, dass Menschen davon ihren Lebensunterhalt bestreiten können."
80 Prozent der Angebote wie Tafeln, Sozialkaufhäuser oder Kleiderkammern seien erst in den vergangenen 20 Jahren entstanden, erklärte der Sozialwissenschaftler. "Es ist ein Phänomen, das wir in dieser Quantität und Qualität bislang nicht hatten." So seien die Tafeln erst Mitte der 90er Jahre entstanden. Heute versorgten die knapp 1.000 Tafeln aber täglich zwei Millionen Bedürftige mit Nahrungsmitteln.
Das Problem sei, dass sich das System der Mitleidsökonomie zunehmend etabliert habe, kritisierte Kessl. Wohlfahrtsverbände hätten politische Akteure immer wieder darauf hingewiesen, dass es eigentlich ein Skandal sei, wie viele Menschen auf Spenden zur Existenzsicherung angewiesen seien. "Nur hat das bislang nicht dazu geführt, dass massiv in Armutsbekämpfung investiert wurde." Eine Möglichkeit, die Diskussion anzustoßen, sei, die Tafeln oder Suppenküchen einmal symbolisch zu schließen, schlug Kessl vor.