Gütersloh (epd). Trotz florierender Wirtschaft und geringer Arbeitslosigkeit steigt die Zahl armer Kinder in Deutschland. Fast zwei Millionen Mädchen und Jungen wüchsen in Familien auf, die von staatlicher Grundsicherung leben, heißt es in einer am Montag in Gütersloh veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung. Je länger Kinder in Armut aufwachsen, desto negativer sind demnach die Folgen für ihre Entwicklung. Sozialverbände kritisieren, dass trotz vieler Hilfen für Familien die Unterstützung bei armen Kindern nicht ankomme.
Besonders betroffen von Armut seien Mädchen und Jungen aus Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil oder mit vielen Kindern, erklärte die Bertelsmann Stiftung. Von allen Kindern in staatlicher Grundsicherung lebte im vergangenen Jahr jedes zweite (50 Prozent) bei Alleinerziehenden und etwa jedes dritte (36 Prozent) in Familien mit drei und mehr Kindern. Die Daten zur Kinderarmut basieren auf eigenen Berechnungen der Stiftung auf Grundlage der Statistik der Bundesagentur für Arbeit.
Sozial isoliert und gesundheitlich beeinträchtigt
In neun von 16 Bundesländern stieg der Anteil von Minderjährigen in staatlicher Grundsicherung zwischen 2011 und 2015. Am stärksten nahm die Quote in Bremen zu (plus 2,8 Prozentpunkte), gefolgt vom Saarland (plus 2,6) und Nordrhein-Westfalen (plus 1,6).
Je länger Kinder in armen Verhältnissen lebten, desto negativer seien die Folgen für ihre Entwicklung, heißt es in der Studie. Kinder aus armen Familien besuchten später überdurchschnittlich häufig eine Hauptschule oder verließen die Schule ohne Abschluss. Sie wiederholten häufiger eine Klasse und hätten schlechtere Noten. Verglichen mit Kindern aus Familien mit geregeltem Einkommen sind der Studie zufolge arme Kinder zudem häufiger sozial isoliert und gesundheitlich beeinträchtigt.
Die Bertelsmann Stiftung forderte eine Reform der Grundsicherung für Kinder. Die Unterstützung in Deutschland müsse komplett neu gedacht werden und sich am tatsächlichen Bedarf von Kindern und Jugendlichen orientieren, sagte Stiftungsvorstand Jörg Dräger.
Die Diakonie forderte "eine einheitliche finanzielle Grundförderung, die das Existenzminimum aller Kinder abdeckt". Das bisherige Nebeneinander aus Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Kinder-Regelsätzen und Pauschalen des Bildungs- und Teilhabepakets sei viel zu kompliziert, sagte Maria Loheide aus dem Vorstand der Diakonie in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen
Die Sozialverbände VdK und SoVD erklärten, für eine Grundsicherung sei eine bedarfsgerechte Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Jugendliche erforderlich. Der Bundesverband Deutsche Tafel verlangte, statt "Minimalerhöhungen" die Teilnahme von Kindern am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) verwies am Montag in Berlin auf den geplanten Ausbau des sogenannten Unterhaltsvorschusses im kommenden Jahr. Damit solle gezielt jenen Kindern geholfen werden, die von einer Trennung der Eltern betroffen sind und keinen Unterhalt bekommen. Nach Angaben der SPD-Bundestagsfraktion erhält etwa die Hälfte aller Alleinerziehenden keinen Unterhalt für ihre Kinder.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) appellierte an die Bundesregierung, ein Sonderprogramm in Höhe von 280 Millionen Euro pro Jahr auf den Weg zu bringen. Das Programm, das auch vom Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit unterstützt werde, habe unter anderem zum Ziel, Alleinerziehende zumindest in eine sozialversicherte Teilzeittätigkeit zu vermitteln, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.