Nach der Freigabe der Akten zu der umstrittenen deutschen Sektensiedlung "Colonia Dignidad" in Chile durch das Auswärtige Amt haben Opfer erneut Entschädigungszahlungen vom deutschen Staat gefordert. "Für die, die damals Kinder waren, muss es wenigstens eine einmalige Entschädigung geben", sagte die ehemalige Colonia-Bewohnerin und Opfer-Sprecherin Anna Schnellenkamp der "Berliner Zeitung" (Wochenendausgabe). 5.000 Euro pro Person wären angemessen. Betroffen seien etwa 150 Personen. Sie hätten entsetzliches Leid erlebt, seien misshandelt und von ihren Eltern getrennt worden und hätten nur eine schlechte Schulbildung erhalten.
Der deutsche Staat müsse dafür einstehen, weil er von den Zuständen in der Siedlung gewusst und nicht reagiert habe, sagte Schnellenkamp. "So viele Jahre mussten vergehen, so viele Menschen haben ihr Leben verloren, haben ihr Leben dahingelebt, haben keine Familien gründen können, können es nicht mehr zurückdrehen."
Schnellenkamp wurde den Angaben zufolge 1976 in der Colonia geboren. Die Freigabe der Akten des Auswärtigen Amtes bezeichnete sie als einen "sehr positiven und unerwarteten Schritt". "Aber das kann bei den schwerwiegenden Fehlern natürlich jetzt nicht alles gewesen sein."
Der 1961 von dem Deutschen Paul Schäfer gegründeten "Colonia Dignidad" (Kolonie der Würde) im Süden Chiles werden Kindesmissbrauch, Zwangsarbeit und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Unter der Pinochet-Diktatur (1973-1990) befand sich dort ein Folterzentrum. Schäfer tauchte 1997 unter, wurde 2005 festgenommen und in Chile zu 33 Jahren Haft verurteilt. 2010 starb er in einem Gefängniskrankenhaus. Die frühere "Colonia Dignidad" heißt nun Villa Baviera.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte vor wenigen Wochen unter dem Eindruck des aktuellen Kinofilms "Colonia Dignidad" das Verhalten der deutschen Diplomaten als zu zaghaft bezeichnet und die Akten seines Ministeriums vorzeitig freigegeben.