"Die alten Urteile sind Unrecht", sagte Maas. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellte zeitgleich in Berlin ein Rechtsgutachten vor, das die Rehabilitierung für möglich und sogar geboten ansieht. Auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) forderte eine Aufhebung der Urteile.
Dabei geht es um den früheren Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch, der seit der Kaiserzeit galt, in verschärfter Fassung die Grundlage für die Verfolgung und Ermordung Homosexueller in der NS-Zeit bildete und in dieser Form noch in der Bundesrepublik, in veränderter auch in der DDR lange Zeit fortbestand. Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle wurden auf dieser Grundlage in der Bundesrepublik bis 1969 rund 50.000 Männer verurteilt. Dann wurde der Paragraf entschärft, aber erst 1994 komplett abgeschafft. In der DDR, wo es weit weniger Verurteilungen gab, war das bereits 1968 der Fall.
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, sagte, die Verurteilten seien "im Kernbestand ihrer Menschenwürde verletzt worden". Die Betroffenen gelten bis heute als vorbestraft. Sie erlebten gesellschaftliche Ausgrenzung, verloren den Angaben zufolge nicht selten Wohnung und Arbeit.
Ihre Rehabilitierung ist bis heute juristisch und politisch umstritten. Zwar wurden die Homosexuellen-Urteile der NS-Zeit pauschal aufgehoben, und auch bei politischen Urteilen der DDR-Gerichte gab es nach 1990 pauschale Aufhebungen. Bei den im Westen verurteilten Homosexuellen würde aber eine Rechtsprechung der Bundesrepublik für ungültig erklärt, die auf den heutigen rechtsstaatlichen Prinzipien beruht. Die Politik konnte sich deswegen bislang nicht zu einer Regelung durchringen. Entsprechende Initiativen des Bundesrats blieben im Bundestag erfolglos.
Der Verfassungsrechtler Martin Burgi, der im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle ein Gutachten erstellt hat, sieht aber kein Hindernis. Burgi sagte, der Rechtsstaat zeichne sich dadurch aus, dass er zur Korrektur fähig sei. Ihm zufolge müssten die Interessen der Opfer und Bedenken in die Waagschale gelegt werden. Nach seiner Auffassung überwiegt in diesem Fall der Anspruch der Opfer auf Wiedergutmachung.
Kollektive Entschädigung gefordert
Justizminister Maas sagte, der Paragraf 175 sei von Anfang an verfassungswidrig gewesen. Eine Sprecherin von Maas sagte in Berlin, der Gesetzentwurf solle "so schnell wie möglich" auf den Weg gebracht werden, auch um die bereits sehr betagten Betroffenen entschädigen zu können. Schwesig unterstützte die Pläne des Parteikollegen: Rehabilitierung und Entschädigung seien ein wichtiges Signal an die Homosexuellen in Deutschland, sagte sie in Berlin.
Burgi und die Antidiskriminierungsstelle sprachen sich für eine kollektive Entschädigung aus und schlugen einen Fonds bei der Magnus-Hirschfeld-Stiftung zur Prävention von Homophobie und Aufklärungsprojekte vor. Eine individuelle Entschädigung sei kompliziert, die Betroffenen müssten Nachweise erbringen. Oftmals seien die entsprechenden Akten aber nicht einmal mehr bei den Gerichten vorhanden, erklärte Burgi.
Die Ankündigung von Maas stieß bei Burgi und Lüders auf Freude. Jetzt gebe es keine Entschuldigung mehr für Verzögerungen, sagte Lüders. Begrüßt wurde der geplante Gesetzentwurf zudem von den Lesben und Schwulen in der SPD (Schwusos), der Aids-Hilfe und den Grünen im Bundestag. Auch aus den Reihen der CDU gab es Unterstützung: Wiedergutmachung sei "längst überfällig", sagte der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak. Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses forderte einen Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause, "damit wir die Rehabilitierung noch in dieser Wahlperiode schaffen".