Berlin, Münster (epd)Die Bundesregierung will den Maßregelvollzug umgestalten, um "unverhältnismäßige, insbesondere unverhältnismäßig lange Unterbringungen" zu vermeiden. Das schreibt die Regierung der Begründung ihrer Initiative an den Bundestag. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) begrüßt die Pläne grundsätzlich, übt aber auch Kritik.
Immer mehr Menschen in der Psychiatrie
Tilmann Hollweg, Maßregelvollzugsdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), sagt: "Eine wirkliche Veränderung der bisherigen Praxis wird die Novellierung nicht bewirken." Er ist verantwortlich für einen der bundesweit größten forensischen Klinikträger mit rund 1.300 Patienten.
Hollweg stützt seine Expertise auf neuere Untersuchungen. Danach haben deutlich über 90 Prozent der gemäß § 63 Strafgesetzbuch Untergebrachten schwere bis schwerste Straftaten begangen, etwa Sexualdelikte, Körperverletzungen, Brandstiftungen und Raub - all diese Verurteilten können auch nach zehn Jahren nicht einfach als geheilt entlassen werden.
Immer mehr Menschen kommen nach einem Gerichtsentscheid in die geschlossene Psychiatrie. Und: Dieser Vollzug dauert immer länger: Die Zahl der Personen, in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, lag noch 1990 bei 2.489. 2010 waren es schon 6.569, aktuell 7.752. Die Dauer der Unterbringung stieg zwischen 2008 und 2012 von 6,2 Jahren auf nun knapp acht Jahre, "ohne dass es konkrete Belege für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit der Untergebrachten gibt", betont die Bundesregierung.
Hauptziel der Novelle: Die gerichtlichen Anordnungen sollen sich stärker auf "gravierende Fälle" beschränken. Künftig soll eine Unterbringung über mehr als sechs Jahre nur noch zulässig sein, wenn andernfalls Taten mit einer "schweren seelischen oder körperlichen Schädigung" der Opfer drohen. Häufiger als bisher soll überprüft werden, ob eine Fortdauer des Maßregelvollzugs angebracht ist. Und es soll nicht mehr zweimal hintereinander derselbe Sachverständige für Schuldfähigkeitsgutachten eingesetzt werden dürfen.
Zunahme der Verweildauer
Nahlah Saimeh von der DGPPN begrüßte viele Aspekte der Reformpläne. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zeigte sie sich aber skeptisch, ob die jetzt vorgesehene Höchstdauer der Unterbringung von sechs Jahren ausreicht. Ihr Verband habe sich für eine Dauer von maximal zehn Jahre stark gemacht, denn die Hälfte der davon betroffenen Personen "sind sehr schwer psychisch gestört" und bräuchten oft eine sehr lange Zeit, um wieder stabil zu werden.
Mittlerweile machten Personen mit schizophrenen Psychosen rund die Hälfte der Untergebrachten aus. Sie seien oft schon lange und chronisch krank und benötigten viel Zeit. Auch Menschen mit Persönlichkeitsstörungen kommen laut Saimeh oft mit sechs Jahren Behandlungsdauer nicht aus.
Auch das künftig bundesweit eine Frist von drei Jahren gelten soll, nach der alle forensischen Patienten erneut begutachtet werden sollen, sei zu begrüßen, sagte die Ärztliche Direktorin des Zentrums für Forensische Psychiatrie Lippstadt. Es brauche zwingend diese "regelmäßige Expertise von außen und dazu auch ein einheitliches Vorgehen".
Dass künftig die Sachverständigen bei den Schuldfähigkeitsgutachten wechseln sollen, sei ebenfalls ein vernünftiger Schritt. Die Expertin bestätigte die längeren Aufenthaltszeiten der Patienten. Sie machte dafür auch eine veränderte Haltung der Gesellschaft zu schweren Straftaten verantwortlich, insbesondere nach schwerwiegenden Sexualstraftaten. Die Öffentlichkeit erwarte, dass Straftäter nach Gewalttaten nicht mehr rückfällig würden. Naimeh sprach von einer "No-risk-Grundhaltung." Die Folge davon sei die systematische Zunahme der Verweildauern in der Forensischen Psychiatrie.
Tilmann Hollweg äußerte dagegen Zweifel daran, dass lange Unterbringungszeiten mittels häufigerer Begutachtungen vermieden werden können: "Erfahrungen aus Bundesländern, die häufigere externe Begutachtungen landesgesetzlich schon vorgeschrieben haben, belegen eher, dass Patienten länger statt kürzer im Maßregelvollzug bleiben."