"Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, über das zu wenig gesprochen wird", sagte am Mittwoch die Berliner Buchautorin und Mitinitiatorin der Twitter-Kampagne #Aufschrei, Anne Wizorek, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dass den betroffenen Frauen so zugehört werde wie derzeit den Opfern aus Köln, sei nicht der Standard.
Auch die Bremer Fachreferentin für Gewalt gegen Frauen, Margaretha Kurmann, sprach sich dafür aus, das Thema stärker in die Öffentlichkeit zu rücken. "Es ist erschreckend, wie alltäglich sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist." Bis heute erlebten Frauen im öffentlichen Raum mehr Übergriffe als Männer.
Oft werden Taten heruntergespielt
In der Spekulation um mögliche Täter warnte Kurmann davor, nur eine Menschengruppe zu betrachten. "Formen der Gewalt von Männern gegenüber Frauen ziehen sich durch alle Kulturen und Religionen." Übergriffe kämen in patriarchalischen Kulturen ebenso wie in christlich geprägten Familien vor. Die Vorfälle in den Städten dürften aber nicht verharmlost und müssten genau untersucht werden.
Auch Wizorek warnte vor rassistischer Hetze. Schuld seien vielmehr die in der Gesellschaft verankerten Stereotypen der Geschlechter und dass sexuelle Gewalt als ein Teil von Männlichkeit gesehen werde.
Frauen erlebten im Alltag alle möglichen Varianten sexualisierter Gewalt, sagte Wizorek. Oft würden aber Taten wie das Angrapschen im Bus als Einzelfälle oder missverstandene Komplimente heruntergespielt, sagte sie. Studien zufolge seien rund 60 Prozent der Frauen in ihrem Leben sexuell belästigt worden.
Die Opferschutzorganisation "Weißer Ring" rät allen Frauen, die in Köln oder anderenorts Opfer sexueller Übergriffe wurden, in jedem Fall eine Strafanzeige zu erstatten. "Es ist wie beim Fußball: Wenn wir nicht antreten, haben wir schon verloren", sagte der Wiesbadener Außenstellenleiter des "Weißen Rings", Rudi Glas, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch. Bei Fällen von sexualisierter Gewalt und Raub könnten die Betroffenen darauf vertrauen, dass die Polizei ernsthaft ermittele.
Gruppen junger Männer hatten in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof offenbar gezielt Frauen sexuell bedrängt und bestohlen. Nach Polizeiangaben hatten sich zeitweise mehr als tausend überwiegend alkoholisierte Männer vor dem Bahnhof aufgehalten. Am Mittwoch ermittelte die Polizei drei erste Verdächtige, es gab aber keine Festnahmen. Die Zahl der Anzeigen stieg auf 106.