Die diesjährige Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch reagiert auf ihre Ehrung mit gemischten Gefühlen. "Ich bin zwiegespalten. Der Preis steht für mich, aber auch für Weißrussland", sagte die Schriftstellerin am Samstag in Berlin. Die Kritikerin des Regimes von Diktator Alexander Lukaschenko gerät immer wieder in Konflikt mit der Obrigkeit und den Zensurbehörden in Weißrussland. "Diese internationale Auszeichnung bedeutet einen gewissen Schutz für mich", so die 67-Jährige. Die Regierenden von ihrem Kurs abbringen könne der Nobelpreis jedoch nicht.
"Persönlich berührt von der unerschrockenen Journalistin" zeigte sich der Leiter des Buchverlags Hanser Berlin, in dem die Bücher von Alexijewitsch in deutscher Sprache erscheinen. "Wir sind sehr stolz auf unsere Autorin, deren Werke nun überall auf der Welt gelesen werden", sagte Karsten Kredel. Die Literatur der Weißrussin gehöre zu dem Eindringlichsten und Intensivsten, was man heute lesen könne.
Lob gab es auch vom weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der seine Hoffnung ausdrückte, dass die Auszeichnung seinem Staat und dem weißrussischen Volk dienen werde. Dass der autoritär regierende Staatschef ihr überhaupt zu der Auszeichnung gratulierte, überraschte Alexijewitsch: "Er hat die Kraft gefunden, sich zu überwinden, obwohl er ein negatives Verhältnis zu mir hat." Sie öffentlich zu würdigen, sei aber auch Teil von Lukaschenkos Politik. Immer wenn die Beziehung zwischen Weißrussland und Russland abkühle, suche Lukaschenko die Nähe zu Europa, sagte die Schriftstellerin. Dann gewähre er auch Künstlern mehr Freiraum.
Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Weißrussland am Sonntag sagte Alexijewitsch, sie glaube nicht an einen Machtwechsel in ihrem Land. Eine Wiederwahl Lukaschenkos galt als sicher. Die Opposition sei zu zerstritten, die Bevölkerung durch Propaganda manipuliert, sagte die designierte Nobelpreisträgerin. Sie bezeichnete Lukaschenko als unzuverlässigen Menschen, auf den auch internationale Partner nicht setzen könnten.
Nach zwölf Jahre im Ausland sei sie nach Minsk zurückgekehrt, weil ihr klargeworden sei, dass sich an der politischen Situation noch lange nichts ändern werde, erklärte die Autorin: "Ich habe begriffen, dass man Demokratie nicht einführen kann wie Schweizer Schokolade." Daneben verlange es ihre literarische Gattung, die auf Gesprächen mit Zeitzeugen basiert, dass sie sich unter den Menschen befinde.
Am Donnerstag hatte die Schwedische Akademie Alexijewitsch den Literaturnobelpreis zuerkannt. Geehrt wird sie für ihr über 30 Jahre entstandenes "vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt", wie es in der Begründung der Akademie hieß. Alexijewitsch wurde 1948 in der Ukraine geboren und wuchs in Weißrussland auf. Sie ist die sechste Nobelpreisträgerin russischsprachiger Literatur.