Damit setze die Bundesregierung eine Politik fort, die in erster Linie auf Abschreckung und Abschottung basiere, bemängelte der Vorsitzende des Rates, der Kultur- und Sozialanthropologe Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Dienstag in Berlin. Er und die anderen Wissenschaftler plädieren stattdessen dafür, die jetzige Situation als Herausforderung und Chance zu sehen, die ganze Asylpolitik grundsätzlich zu revidieren und Fehler wie das Dublin-System zu korrigieren. Der Rat für Migration ist ein Zusammenschluss von über hundert Migrationsforschern aus unterschiedlichen Disziplinen.
Entwicklungen wie der aktuelle Flüchtlingszuzug nach Europa seien schon lange absehbar gewesen und die Folgen jahrelanger Verdrängung in Deutschland und Europa, kritisierte Schiffauer weiter. Für den Historiker Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück sind die jetzt geplanten Maßnahmen widersprüchlich. Einerseits solle die Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern entbürokratisiert werden, andererseits verursache das derzeitige Asylsystem enorme und unnötige Kosten. So sei es erwiesenermaßen billiger, Asylsuchende dezentral unterzubringen als in teuren Gemeinschaftsunterkünften.
Auch die Wiedereinführung von Sachleistungen und die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten werde nicht mehr Effizienz bringen, sagte der Migrationsforscher Hannes Schammann von der Universität Hildesheim voraus: "Sachleistungen schrecken niemanden ab und die Diskussion um die sicheren Herkunftsstaaten sind eine reine Alibiveranstaltung." Trotzdem müsse weiterhin jeder einzelne Asylantrag individuell geprüft werden.
In einem Zehn-Punkte-Programm fordert der Rat für Migration unter anderem eine Aussetzung des Dublin-Systems, den grundsätzlichen Verzicht von Einzelfallprüfungen bei Kriegsflüchtlingen aus dem Irak und Syrien sowie die Öffnung legaler Einwanderungswege nach Europa. Es sei jetzt ein historischer Zeitpunkt, die ganze Asylpolitik neu auszurichten, sagte Schiffauer. "Auch die Zivilgesellschaft ist dazu bereit, wie nie zuvor", fügte er hinzu.
Die Bundesregierung hatte am Dienstag weitreichende Änderungen des Asylrechts beschlossen. So soll die Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" erweitert werden, Asylbewerber sollen künftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden und dort in der Regel Sachleistungen statt Geld erhalten.