"Die Reformatoren selbst haben gesagt, die Kirche müsse sich immer weiter reformieren, dies ist ein entscheidender Punkt, der sich in der Lerngeschichte bewahrheitet hat", ergänzte Käßmann.
Die Schmähschrift "Von den Juden und ihren Lügen" des Reformators Martin Luther (1483-1546) habe lange Zeit als Rechtfertigung für Diskriminierung, Ausgrenzung und Mord an den Juden gedient, sagte Käßmann. Dies werfe einen Schatten auf Luther und seine Reformation.
"Wer Juden angreift, greift uns an"
Die Wiederaufnahme des jüdisch-christlichen Dialogs sei "eine lange und bittere Lerngeschichte" gewesen. Heute aber sage die Evangelische Kirche in Deutschland: "Wer Juden angreift, greift uns an", sagte Käßmann und fügte hinzu: "Wir brauchen einen Dialog der unterschiedlichen Konfessionen und Religionen, und er muss theologisch gegründet sein."
Mit Blick auf die Ökumene sagte die Theologin, die römisch-katholische Kirche sei heute "nicht dieselbe, mit der Luther und die anderen Reformatoren im 16. Jahrhundert in einen so tiefen Konflikt gerieten". Zwar blieben viele "reformatorische Anfragen" etwa an das Papsttum, an Heiligenverehrung oder Amtsverständnis bestehen. Luther aber habe seine eigene Kirche reformieren und nicht spalten wollen. "Ein rein abgrenzendes Reformationsjubiläum wäre daher nicht sinnvoll", erklärte Käßmann.
"Selbst denken!"
Die Theologin unterstrich auch Luthers Verdienst, die Themen Bildungsgerechtigkeit und -teihabe öffentlich gemacht zu haben. Denken, Reflektieren, Nachdenken, Verstehen können und Fragen dürfen blieben reformatorische Anliegen, betonte Käßmann: "Jedweder Ausprägung von Fundamentalismus stellt sich eine Kernbotschaft der Reformation entgegen: selbst denken!"
Martin Luther schlug laut Überlieferung am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Das Ereignis gilt als Auslöser für tiefgreifende Umwälzungen in Kirche und Staat und die Entstehung des Protestantismus als neue christliche Konfession.