"Dieses Land wird sich ändern, weil es sich künftig kulturell, religiös und menschlich anders zusammensetzt", sagte Thierse in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Bundesrepublik werde noch einmal pluraler. "Pluralität ist keine Idylle", ergänzte Thierse.
Über Schwierigkeiten müsse man ehrlich sprechen. Er äußerte sich aber optimistisch, dass dies gelingt: "Die Deutschen haben hinzugelernt und wir sind insgesamt ein weltoffeneres Land geworden, das besser mit Konflikten und Herausforderungen umgehen kann", sagte der SPD-Politiker. Die Bevölkerung reagiere heute mehrheitlich anders auf die Flüchtlinge als eine "hasserfüllte, fremdenfeindliche Minderheit".
"Diese Gesellschaft muss lernen, was es bedeutet, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein", sagte Thierse. Es sei eine Aufgabe, die weit über das Politische hinausgehe, sondern auch die Zivilgesellschaft sowie in besonderer Weise die Kirchen betreffe. "Die Zuwanderung und die Flüchtlingsbewegung sind die größte Herausforderung für Deutschland und Europa in diesem und auch in den nächsten Jahren", sagte der frühere Parlamentspräsident. "Vom Umfang der Aufgabe ist es durchaus vergleichbar mit der deutschen und europäischen Einigung", sagte Thierse.
Neben der Integration sieht Thierse derzeit vor allem Handlungsbedarf bei der unmittelbaren Hilfe für ankommende Flüchtlinge und in der europäischen Flüchtlingspolitik. "Wir müssen eine menschenfreundliche Aufnahme hinbekommen", sagte er. Mit Begeisterung habe er gesehen, wie in München die aus Ungarn kommenden Flüchtlinge Anfang der Woche von Bürgern empfangen und mit Lebensmitteln versorgt wurden.
Zur europäischen Politik sagte er: "Wir brauchen eine faire Verteilung von Lasten und Chancen der Einwanderung, eine gemeinsame Bekämpfung von Schleusern und vor allem auch eine gemeinsame, europäische Bekämpfung von Fluchtursachen." Indem dies alles getan werde, "wehren wir uns auch gegen Rechtsextremismus", ergänzte Thierse. Menschenfreundliche Aufnahme sei die Antwort auf die Menschenfeindlichkeit der Rechtsextremisten und auf Ängste der Bevölkerung. Nur wenn man ehrlich über Herausforderungen spreche, "kann man Vorurteile überwinden", sagte Thierse.