Martin Diehls erster Facebook-Geburtstag war für ihn eine echte Überraschung. "Im Ort fuhren hupende Autos an mir vorbei, Grüppchen fanden sich spontan auf der Straße zusammen, um mir ein Ständchen zu singen", erzählt der 57-Jährige. Dabei war es nicht mal ein runder Geburtstag.
Da habe er gemerkt, wie Facebook auch in die reale Welt schwappt. "Vieles auf Facebook passiert aber auch nur da und verpufft dann wieder", sagt Martin Diehl. Er denkt an die ganzen "Likes", die Menschen für Bilder und Sprüche ihrer "Freunde" verteilen. "Ich nutze das auch, als Streicheleinheiten, die nichts kosten." Seit dem 30. September 2014 ist Martin Diehl auf Facebook aktiv – so ist das mit einschneidenden Erlebnissen, man hat ihr Datum sofort parat.
Dem größten sozialen Netzwerk der Welt, auf das 2015 im ersten Quartal 1,39 Milliarden Menschen zugegriffen haben, wird oft vorgeworfen, es sei zu selbstreferentiell. "Warum soll ich mir Fotos mit dem Essen anderer angucken?", wird gerne von Facebook-Skeptikern vorgebracht. Dann die Sache mit dem Datenschutz: Facebook schluckt genauso gierig wie Amazon oder Google jede kleinste Information, die Nutzer einspeisen.
Wie im wahren Leben: er lehnt niemanden ab
"Wenn ich nicht Pfarrer wäre, weiß ich nicht, ob ich auf Facebook wäre", sagt Martin Diehl. Doch ohne Facebook könne er nun mal seine jugendlichen Mitarbeiter nicht erreichen. "Auf E-Mails antworten sie schon lange nicht mehr", sagt er. Auf Facebook-Nachrichten hingegen schon.
Martin Diehl spinnt allerdings nicht erst seit Facebook seine Netzwerke. Seit 25 Jahren ist er Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Egelsbach. In jedem Verein hat er mindestens einmal während eines Festes am Grill gestanden oder ein Vorstandstreffen besucht. Seit Jahren begeistert er während des Konfirmandenunterrichts seine Konfis, so dass sie ihm die Bude einrennen, um die Jugendarbeit mitzugestalten. 32 Jugendliche werden dieses Jahr 34 Konfirmanden betreuen. Martin Diehl lehnt keinen ab.
Bei Facebook macht er das auch so: Er nimmt zwar nur Freundschaftsanfragen an von Menschen, die er kennt, doch er nimmt sie alle an. Seine Umtriebigkeit im wahren Leben, hat ihm innerhalb von wenigen Monaten 1.200 Freunde auf Facebook beschert. Facebook ersetzt für Martin Diehl nicht die Kommunikationswege, die es vorher auch schon gab. Sondern es ergänzt sie.
Das bedeutet auch ein Plus an Kommunikation: "Klar, aber das ist kein Problem", für Martin Diehl. Das Mobiltelefon und die Chatfunktion "WhatsApp" seien für ihn viel fordernder als Facebook, denn "WhatsApp" nutzt er unter anderem für die Kommunikation mit seinem Kirchenvorstand. "In der vergangenen Fastenzeit wollte ich auf mein Handy verzichten", erzählt er. Doch seine ehrenamtlichen Mitarbeiter wussten das zu verhindern: "Martin", sagten sie "du kannst dich doch jetzt nicht einfach wochenlang ausklinken, wenn wir die Kirchenvorstandswahl planen", das habe schon ein wenig wehgetan, sagt er.
"Wenn man einmal anfängt, kommt man nicht mehr so einfach raus", sagt Martin Diehl. Die kurzen knappen Botschaften, die Facebook fordert, das Plakative, am besten ein ansprechendes Bild – Martin Diehl gefällt diese Art der Kommunikation, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass Reaktionen schnell folgen. Einmal brauchte er für ein Theaterstück in der Kinderbibelwoche ein paar Räucherstäbchen. Er fragte seine "Freunde" danach und musste ein paar Minuten später die Anfrage schon wieder stoppen: "Ich wollte ja keinen Laden mit den Dingern aufmachen."
Ein "Shitstorm" überrollte den Pfarrer
Martin Diehl ist über Vieles vergnügt, was auf Facebook passiert. Schnell hat er gelernt, das Medium für Unmittelbares zu nutzen. Er bewarb die Kinderbibelwoche, "und schon hatte ich 50 Kinder mehr als in den Vorjahren in der Kirche", sagt er. Wofür sich Facebook jedoch gar nicht eigne, sei die Diskussion über ernste Themen. "Da setze ich nach wie vor auf das Gespräch von Angesicht zu Angesicht", sagt er.
Als die evangelische Gemeinde Egelsbach mehrere Räume eines Altersheims im Ort zum Flüchtlingsheim umfunktionierte, stellte einer auf Facebook Martin Diehl eine Frage dazu – und zwar öffentlich, was heißt: jeder konnte diese Frage auf Martin Diehls Pinnwand lesen. Da überrollte ein "Shitstorm" den Pfarrer. Ein Haufen unqualifizierte Kommentare wurden hinterlassen. "Anfangs versuchte ich zu argumentieren", aber das habe er schnell wieder aufgegeben.
Martin Diehl hat gelernt, Facebook für seine Arbeit zu nutzen. Zu seinem Vorteil und zu dem seiner Gemeinde. "Weil ich auf Facebook bin, haben wir nun sogar den bundesweiten chrismon-Gemeindewettbewerb gewonnen“, sagt er stolz. Denn dort warb er vehement für die Online-Abstimmung. "Wir haben auch 5.000 Flyer drucken lassen", sagt er, "die haben den Effekt aber bestimmt nicht alleine gebracht". Auf Facebook kostet die Aufmerksamkeit nur Sekunden, weshalb viele schneller bereit seien, sie zu gewähren. Auch Martin Diehl wird nun weiter seine Aufmerksamkeits-Sekunden dort verteilen, Werbung für seine Gemeinde machen und vor allem: seinen Freunden zum Geburtstag gratulieren.