Im Streit über das Kirchenasyl wächst der Widerspruch gegen die harte Haltung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auch in den eigenen Reihen. Als Akt christlicher Barmherzigkeit eigne sich das Kirchenasyl nicht als "Medium der politischen Auseinandersetzung", heißt es in einem Papier der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, aus dem die Tageszeitung "Die Welt" (Online-Ausgabe) zitiert. Die Opposition warf de Maizière Scheinheiligkeit und Einseitigkeit vor. Kritik kam auch von der SPD. Am Dienstag berieten Vertreter von Kirchen und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über das Thema. Ergebnisse wurden zunächst nicht bekannt.
Die Zahl der Menschen im Kirchenasyl war zuletzt deutlich gestiegen. In Deutschland gibt es nach Angaben der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche zurzeit 226 Fälle mit mindestens 411 Flüchtlingen, darunter 125 Kinder. Das sind mehr als vier Mal so viel wie vor einem Jahr. Hintergrund sind die generell steigenden Flüchtlingszahlen sowie die EU-Asylbestimmungen. De Maizière hatte den Kirchen jüngst Rechtsbruch vorgeworfen und einen Vergleich zur islamischen Scharia gezogen. Die Kirchen wiesen die Vorwürfe zurück. Das BAMF plant eine Verschärfung der Bedingungen für das Kirchenasyl.
In dem Papier der Stiftung heißt es laut "Welt", die Kritik des Ministers treffe nur auf einen kleinen Teil der Gemeinden zu, die Flüchtlinge beherbergen. In diesen Fällen glaubten die Kirchenmitglieder, "ihre eigene moralische Auffassung höher stellen zu können als die richterlichen Entscheidungen". Die überwiegende Mehrheit hingegen riskiere einen begrenzten Konflikt, "um Änderungen für ihren Einzelfall herbeizuführen", heißt es in dem Dokument unter dem Titel "Kirchenasyl - Rechtsbruch oder Akt der Barmherzigkeit?"
Der Präsident des Diakonischen Werks Deutschland, Ulrich Lilie, zeigte sich zuversichtlich, dass die Politik das Kirchenasyl nicht erschweren werde. "Ich hoffe auf die humanitäre Vernunft der Beteiligten", sagte er am Dienstag in Nürnberg. Kirchenasyl sei akzeptiert und verhindere humanitäre Katastrophen. Zivilgesellschaftliches Engagement sei notwendig, wo rechtsstaatliche Regeln einen Fall nicht lösen könnten, sagte der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes.
Beim Kirchenasyl handelt es sich um eine befristete Aufnahme von Flüchtlingen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Die Praxis bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. Die meisten betroffenen Menschen fallen unter die EU-Dublin-Regelungen - das heißt, dass sie über ein anderes EU-Land nach Deutschland gekommen sind. In diesem Land hätten sie eigentlich Asyl beantragen müssen. Das BAMF will die betroffenen Menschen für "flüchtig" erklären, obwohl ihr Aufenthaltsort bekannt ist. Dies würde den Zeitraum verlängern, in dem sie in das Ersteinreiseland abgeschoben werden können.
Auch SPD kritisiert Haltung des Innenministers
Vertreter von SPD, Grünen und Linkspartei kritisierten die Haltung von de Maizière. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg, sagte dem epd, der Vergleich der Kirchenasylpraxis mit dem Ziel radikaler Islamisten, die Scharia einzuführen, sei "infam". Der Innenminister blicke einseitig auf das Thema. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, nannte die Kritik am Kirchenasyl scheinheilig. Die EU-Flüchtlingspolitik sei gescheitert. Der SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Markus Rinderspacher, sagte, das Kirchenasyl stehe in einer großen Tradition und habe sich bewährt.
An dem Gespräch in Berlin nahm auch BAMF-Präsident Manfred Schmidt teil. Zuvor hatte er sich erneut kritisch über die Zunahme der Kirchenasylfälle geäußert. "Jahrelang haben wir in diesem Bereich gut mit den Kirchen zusammengearbeitet. Das muss nun wieder gelingen", sagte Schmidt der "Welt" (Dienstagsausgabe). Er äußerte den Verdacht, "dass die Kirchen das Kirchenasyl immer häufiger als Systemkritik am europäischen Dublin-System der Zuständigkeitsverteilung nutzen".