Auch wenn es in "Freddy tanzt" tatsächlich eine romantische Ebene gibt: Der Titel täuscht. Der "Tatort" aus Köln ist vielmehr eine Parabel über großstädtische Gleichgültigkeit, die sich mit dem Deckmantel der Toleranz tarnt: Vordergründig lässt man jeden nach seiner Facon selig sein, in Wirklichkeit kümmert sich jeder nur um sich selbst; und ausgerechnet Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) muss als Protagonist des urbanen Desinteresses herhalten.
Unterlassene Hilfeleistung
Obwohl die Botschaft praktisch nicht zu ignorieren ist, erzählt Jürgen Werner ("Zivilcourage"), der bislang alle Drehbücher für das Dortmunder "Tatort"-Team geschrieben und auch den Kölner Kommissaren einige sehenswerte Fälle beschert hat (zuletzt "Franziska"), in erster Linie einen Krimi: Eines Morgens klingelt eine Nachbarin Ballauf aus dem Bett, weil ihr erwachsener Sohn Daniel verschwunden ist. Der Polizist wimmelt sie ab, schließlich ist er ja bei der Mordkommission. Kurz drauf holt ihn der Fall aber wieder ein, denn die Mutter hat den offenbar zu Tode geprügelten Daniel mit Hilfe seines Hundes am Rheinufer gefunden. Der junge Mann war ein begabter Pianist, der aber auf der Straße lebte. Wer ihn so zugerichtet hat, bleibt zunächst offen, aber dafür führt die Spur zu einem Mehrfamilienhaus, dessen Bewohner dem übel zugerichteten jungen Mann keinen Zutritt gewähren.
Die Assoziation zu Flüchtlingen, die deutsche Unterstützung brauchen, liegt nahe, aber so weit geht Werner gar nicht; er begnügt sich mit der unterlassenen Hilfeleistung. Nach und nach lernt man die Menschen in diesem Haus näher kennen: ein altes Ehepaar (Gudrun Ritter, Theo Pfeifer), das an Figuren von Loriot erinnert und dem Film seltene heitere Momente verschafft; eine alleinstehende Übersetzerin (Anna Stieblich), die sich aus Angst vor ihrem Ex-Mann nicht mehr vor die Tür traut; ein Eishockeytrainer (Robert Galinowski), der Daniel besser kannte, als dem Ruf eines Raubeins gut täte; und schließlich eine Kunstprofessorin (Ursina Lardi), für die Freddy Schenk (Dietmar Bär) zu viel Gefühl entwickelt, um noch unbefangen ermitteln zu können.
Andreas Kleinert hat zwar bereits diverse Filme zu den Reihen "Tatort" und "Polizeiruf 110" beigesteuert, ist aber trotzdem alles andere als ein typischer Krimiregisseur. In seinen Arbeiten geht es selten um vordergründige Spannung, und auch "Freddy tanzt" dreht sich neben der Suche nach dem Mörder vor allem um zwischenmenschliche Dinge. Oder richtiger gesagt: um all das, was Menschen voneinander trennt. Daher inszeniert Kleinert, der mit Behrendt und Götz George 2002 das großartige Demenzdrama "Mein Vater" gedreht hat, auch die beiden Kommissare weniger als Freunde, sondern vor allem als Kollegen. Besonders geglückt ist die Integrierung der persönlichen Ebene: nicht das Privatleben der Ermittler ist entscheidend, sondern ihre charakterliche Eingebundenheit. Und während früher in einem "Tatort" aus Köln garantiert jemand ein Kurzreferat über Obdachlosigkeit in Deutschland gehalten und seiner Betroffenheit über die immer größere werdende Schere zwischen Arm und Reich Ausdruck verliehen hätte, wird dieser Aspekt diesmal gar nicht weiter thematisiert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Allzu klischeehaft ist ein Trio junger Investmentbanker geraten, die ein bisschen zu sehr als Wölfe von der Wall Street auftreten. Davon abgesehen aber hat Kleinert die Darsteller ausnahmslos ausgezeichnet geführt. Die Inszenierung erfolgt derart unaufgeregt, dass man prompt gemeinsam mit Freddy Schenk hochschreckt, als Ballauf nach stundenlanger Aktenrecherche lauthals einen Treffer verkündet.