Schon Trude Herr wusste: Niemals geht man so ganz. Deshalb ist der Titel dieses Films auch erstens nicht richtig und zweitens sowieso falsch, zumindest aus Sicht des Krimigenres: Gäbe es keine Spuren, könnte Kommissarin Sonja Schwarz auch den Fall nicht klären, über den ihr Kollege an ihrem ersten Tag bei der Kripo Bozen stolpert.
"Wer ohne Spuren geht" ist der Auftakt zu einer neuen Filmreihe der ARD-Tochter Degeto. Die hat sich zwar unter neuer Führung von der alten Süßstoffausrichtung verabschiedet, aber weil früher ja nicht alles schlecht war, gibt es auch weiterhin Krimireihen, die im Ausland spielen. Zusätzlich zu den Donna-Leon-Verfilmungen aus Venedig und "Mordkommission Istanbul" darf "Kommissar Dupin" in der Bretagne ermitteln; und nun auch Frau Schwarz (Chiara Schoras) in Bozen. Die Kriminalistin kommt eigentlich aus Frankfurt, ist ihrem Mann aber in dessen Südtiroler Heimat gefolgt.
Der Verdacht
Jürgen Werner, derzeit einer der vielbeschäftigtsten deutschen Krimiautoren (er hat unter anderem den "Tatort" aus Dortmund entwickelt), führt die neue Figur gar nicht erst groß ein, sondern schickt sie gleich in eine Verfolgungsjagd: Ein Lasterfahrer will eine syrische Familie durch Italien schleusen. Schwarz und ihr uniformierter Kollege Kerschbaumer (Hanspeter Müller-Drossaart) treiben ihn in die Enge, die Familie flüchtet zu Fuß weiter, Kerschbaumer entdeckt ein Skelett; und diese Ebene der Geschichte wird noch richtig interessant. Vordergründig geht es im ersten Fall der neuen Kommissarin zwar um die Sache nach einem Täter, der den kurz drauf ermordeten Apotheker auf dem Gewissen hat, aber der alte Fall ist ungleich spannender: Bei den Knochen handelt es sich um die sterblichen Überreste einer 15-Jährigen, die vor zehn Jahren verschwunden und, wie sich nun rausstellt, erstochen worden ist; je tiefer Sonja Schwarz gräbt, umso größer wird ihr Verdacht, dass ausgerechnet ihr Mann Thomas (Xaver Hutter) etwas mit dem Mord zu tun haben könnte.
Erst mal jedoch lassen Jürgen Werner und Regisseur Marc Ulbricht alle Krimispannung fahren, weil sich der Film zum Familiendrama wandelt; nun tragen sie nach, was das Ehepaar Schwarz nach Bozen geführt hat und warum sich ihre Gastgeberin (Lisa Kreuzer) Sonja gegenüber unverhohlen feindselig verhält. Auch die Stimmung zwischen den Eheleuten nähert sich dem Gefrierpunkt, so dass die Polizistin kurzerhand in ein Hotel zieht und dort beinahe den Avancen eines Kollegen (Tobias Oertel) erliegt, der eigens aus dem Süden angereist ist, weil er schon lange nach den Hintermännern der Schlepperbande sucht.
Auch Ulbricht trägt seinen Teil dazu bei, dass "Kripo Bozen" kein reiner Krimi ist. Der in diversen Krimiserien des ZDF geschulte Regisseur ("Der Alte", "Ein Fall für zwei") inszeniert den Film immer wieder nach dem Motto "Wenn wir schon in den Dolomiten drehen, soll man das auch sehen", weshalb Szenenwechsel wie im klassischen Degeto-Heimatfilm gern mit einem Blick übers Panorama beginnen. Bei den Innenaufnahmen hat sich Kameramann Ludwig Franz zwar erfolgreich um ein fast schon kunstvolles Licht bemüht, aber draußen findet er immer wieder Gelegenheit, Einstellungen mit einem Schwenk auf einen schönen Ausblick zu beenden. Diese etwas klischeehafte Form der Bildgestaltung erinnert unangenehm an die Sonntagsfilme des ZDF: Im so genannten Herzkino gibt es auch regelmäßig Landschaftsbilder, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hier jedoch ist diese Form der optischen Verwässerung schade, denn der Ansatz der Reihe ist nicht uninteressant; auch wenn Ulbricht der Einzige sein dürfte, den "Kripo Bozen" an "Fargo" erinnert, den herausragenden Thriller der Brüder Coen, wie er im Pressematerial der ARD erzählt. Der vordergründige Fall mit dem toten Apotheker ist zwar nicht weiter aufregend, die zweite Ebene dafür jedoch um so mehr, zumal die Suche nach dem Mörder des Mädchens offen endet und auf Fortsetzung angelegt ist. Auch die Besetzung ist treffend. Das gilt vor allem für Chiara Schoras, die vor allem das Gefühl der Entwurzelung sehr glaubwürdig vermittelt. Besonders gelungen ist ihr furchtbares Italienisch, dabei spricht sie die Sprache als Tochter einer Italienerin fließend.