Fast 600 Kompositionen, 170 Sinfonien, säkulare Vokalmusik von der Oper über das Oratorium bis hin zur Kantate, ein breitgefächertes Spektrum an Instrumentalmusik, insbesondere für die damals noch junge Klarinette: das Werkverzeichnis von Johann Melchior Molter ist umfangreich.
100 Werke hat er als Kantaten für den Gottesdienst geschrieben, nachgewiesen ist ein geistliches Oratorium, unter dem Titel "Höchst schmerzensvoller Tag" bestimmt für den Karfreitag.
Im Herzogtum Sachsen-Eisenach und später am Badischen Hof in Karlsruhe war er als Hofkapellmeister für die gesamte Bandbreite des Konzertbetriebs verantwortlich, mithin auch für die Kirchenmusik. Zu seiner Zeit, in der Epoche des europäischen Hochbarocks, verbreitete er ausgehend von Thüringen gemeinsam mit den Komponistenkollegen Bach, Telemann und Vulpius Ideen der Reformation mit musikalischen Mitteln in den Kirchen der Städte und mitunter auch in ländlichen Gegenden. Anders als die Heroen unter den mitteldeutschen Komponisten wurde Johann Melchior Molter jedoch nach Ende seines Lebens weitgehend vergessen.
Nicht nur irgend ein kleiner Hofkapellmeister
Nun, anlässlich seines 250. Todestages am 12. Januar, könnte die Geschichte eines Verkannten doch noch Fahrt aufnehmen. Einer derjenigen, die sich für die späte "Rehabilitation" Molters engagieren, ist Andreas Fritsch, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Tiefenort.
Diese liegt im thüringischen Kirchenkreis Bad Salzungen-Dermbach unweit der Wartburg und der Bach-Stadt Eisenach. In Tiefenort wurde Molter am 10. Februar 1696 geboren und in der Peterskirche getauft. Am Eingangsportal der Kirche gibt eine Gedenktafel Zeugnis vom großen Sohn des Ortes und der Gemeinde. Die einzige wohl erhaltende Abbildung zeigt ihn als eine Mischung aus Händel und Luther. Sie wird in der Tiefenorter Heimatstube wie ein Schatz gehütet.
"Bei Molter", sagt der 60-jährige Pfarrer Fritsch, "handelt es sich nicht um irgendeinen kleinen Hofkapellmeister. Wir reden vielmehr über einen Teil der Kulturgeschichte unserer Region, die unser Leben bis heute mitbestimmt und deren Gedächtnis zu bewahren wichtig ist."
Die Geschichte der Wiederentdeckung Molters begann vor gut einem Jahrzehnt, mit einem Telefonanruf des Karlsruher Musikwissenschaftlers Klaus Häfner, wie Fritsch berichtet. Häfner hatte über den Musiker aus dem Thüringischen 1996 ein Buch veröffentlicht. Molter war zwar 1717 nach Karlsruhe gezogen, wo er – abgesehen von einigen Reisen, unter anderem zweimal nach Italien – bis zu seinem Ende lebte. Häfner aber wollte die Kirchengemeinde im Geburtsort Molters dafür gewinnen, was Fritsch die "Pflege des Molterschen Erbes" nennt.
Bei Pfarrer Fritsch rannte Häfner damit offene Türen ein. Zu DDR-Zeiten - Tiefenort war der letzte Ort vor der damaligen Grenze - wurden die Kirchengemeinden zumeist kleingehalten. An eine Förderung kirchenmusikalischer Traditionen war überhaupt nicht zu denken. Und nun, quasi über Nacht, kam diese plötzliche Aufmerksamkeit für einen Protagonisten des thüringischen Kulturraums, dessen geistiges Denken in Luther wurzelt und bis in die Gegenwart reicht! Eine willkommene Gelegenheit. Er sei davon überzeugt, betont der Pfarrer, dass es in der Region ein "spezielles musikalisches Gen" geben müsse "wie sonst fast nirgendwo". Es sei höchst verwunderlich, dass dies noch nicht entdeckt worden sei, scherzt der Pfarrer.
"Musik muss erklingen, um lebendig zu sein"
Aus dem persönlichen Anliegen zur Förderung des Molter-Andenkens, das Fritsch seit Jahren umtreibt, ist nun ein ambitiöses Jubiläumsprogramm für Thüringen und über das Bundesland hinaus entstanden. Finanziell gefördert wird es vom Freistaat Thüringen und dem Wartburgkreis. "Kunst schafft Verbindung über die Jahrhunderte", sagt Landesmusikdirektor Dietrich Ehrenwerth, der die Tiefenorter Initiative unterstützt. Und im Gegensatz zur bildenden Kunst müsse "Musik erklingen, um lebendig zu sein".
###mehr|terms|2101###
Am Erklingen soll also kein Mangel sein: Für den Abend des 250. Todestages Molters (12. Januar) gibt es in der Peterskirche ein Gedenkkonzert mit dem Ensemble Hamburger Ratsmusik. Der "eigentliche Knüller", wie Pfarrer Fritsch ihn nennt, ist aber ein Kantatengottesdienst am 19. April in der Eisenacher Georgenkirche. Die Kantate hat den Titel "Du Hirte Israel, höre" und ist so etwas wie eine zeitgenössische Uraufführung, weil das Stück erstmals in einer neuzeitlichen Instrumentierung und Interpretation überhaupt zu hören sein wird.
Die Kantate ist, wie das ganze Unterfangen, Ergebnis einer Reihe von Zufälligkeiten. Der Regensburger Musikwissenschaftler Wolfgang Horn war bei der Sichtung von Molter-Kompositionen - etwa 350 sind nach Stand heute erhalten - auf die Partitur gestoßen und hatte daraus die Orchester-Materialien editiert.
Ähnliche Rekonstruktionen von teilweise nur in Handschrift vorliegenden Werken sind noch in Planung. So liegt über dem Molter-Programm 2015 nicht zuletzt ein Hauch produktiver Unsicherheit. Wie übrigens auch über dem Leben des frommen Mannes aus dem Thüringischen: Zweimal musste er die Auflösung der Hofkapelle erleben, die ihm gerade anvertraut war. Und gleich zweimal zog es ihn daher von Eisenach nach Karlsruhe.