Als später seine Leiche mit einem Einschussloch in der Schläfe gefunden wird, kann der Fall abgeschlossen werden: Wie die meisten Verbrechen dieser Art endete auch dieser Amoklauf offenbar mit dem Selbstmord des Täters.
Aggressive Schulszenen
In Silvia Roths Roman "Querschläger" müssen im Verlauf des Schulmassakers gleich elf Menschen sterben, in der Verfilmung sind es nur drei. Trotzdem gehört die lange Anfangssequenz zum Spannendsten, was das ZDF seit längerem im Rahmen seiner Samstagskrimis gezeigt hat. Regisseurin Christiane Balthasar und ihr Kameramann Hannes Hubach setzen das Drehbuch von Mathias Klaschka mit ungeheuer viel Intensität, Dynamik und Dichte um; selbst in den optisch gemäßigteren Momenten sorgt die Musik von Johannes Kobilke dafür, dass die Bilder nicht zur Ruhe kommen. Allerdings verbreitet dieses herausragende Handwerk naturgemäß entsprechendes Unbehagen; die Schulszenen sind auch schon vor dem Auftritt des maskierten Amokschützen von Aggressivität geprägt. Zwischendurch gibt es in schwarzweiß gehaltene, gewissermaßen schmutzig wirkende Einschübe, die für zusätzliche Irritation sorgen. Später, als das Tempo deutlich nachlässt, wirkt dieser Stil allerdings etwas bemüht. Auch der Übergang vom Thriller zum Reihenkrimi verläuft nicht reibungslos. "Querschläger" ist ein "Kommissarin Heller"-Film, weshalb die Hauptfigur irgendwie in die Eingangssequenz integriert werden musste; auch auf die Gefahr hin, dass der rasante Erzählfluss abrupt unterbrochen wird.
Trotzdem fügt sich der Film doch noch gut in die Reihe ein: weil das Augenmerk diesmal stärker dem Kollegen von Winnie Heller (Lisa Wagner) gilt. Bislang war Hans-Jochen Wagner an die Rolle des stets penibel an den Vorschriften orientierten und dauergereizten Kommissars Hendrik Verhoeven fast verschwendet. Diesmal jedoch tritt die Figur plausibel stärker in den Vordergrund: Seine kleine Tochter ist Augen- und vor allem Ohrenzeugin des Amoklaufs. Außerdem ist sie Opfer eines Internetmobbings. Zwei der drei Toten wiederum, Kinder aus besseren Wiesbadener Kreisen, haben offenbar fleißig dazu beigetragen, dass viele Schüler Objekte regelrechter Hetzkampagnen wurden, weshalb sich Heller und Verhoeven irgendwann fragen, ob der Amokschütze womöglich nur den perfiden Plan eines Mitschülers umgesetzt hat.
Das kreative Personal ist das gleiche wie bei den ersten "Kommissarin Heller"-Filmen. Dennoch ist "Querschläger" anzusehen, dass es gerade angesichts des brisanten Themas nicht einfach war, die persönliche Ebene gerade der Titelheldin harmonisch in die Handlung einzubetten. Tatsächlich läuft der horizontale Erzählstrang in dieser dritten Episode der Reihe etwas nebenher: Die Kommissarin trauert immer noch um ihre überraschend verstorbene Schwester und wehrt sich gegen die Versöhnungsversuche ihrer Mutter.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Weitaus überzeugender ist die Verknüpfung ihres Privatlebens mit dem übergreifenden Mobbingthema: Die einsame Ermittlerin lässt sich auf eine Liebesnacht mit einem Kollegen ein. Als der Mann mehr will und sie ihn auflaufen lässt, sorgt er dafür, dass in der Kantine über sie getuschelt wird. Auch wenn die Anfangsintensität irgendwann der Routine des Samstagskrimis weicht, bleibt der Film sehenswert, zumal Balthasar und Hubach immer wieder für wirkungsvolle Thrillermomente und einige eindrucksvolle Einstellungen sorgen.