Angesichts der islamfeindlichen "Pegida"-Protestmärsche hat der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Politiker aufgerufen, auf die demonstrierenden Bürger zuzugehen. Die Politik müsse besser erklären, "warum wir Zuwanderung brauchen", sagte der SPD-Politiker am Montag im Deutschlandfunk. Der Grünen-Parteivorsitzende Cem Özdemir forderte dagegen eine stärkere Abgrenzung der demokratischen Parteien. Auch "Pro Asyl" warnte vor einer Verharmlosung von "Pegida" ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes").
Neonazis müssten energisch bekämpft werden, doch man könne nicht Zehntausende kriminalisieren, sagte Thierse mit Blick auf die teils nachdrückliche Kritik seiner Parteikollegen an den "Pegida"-Märschen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte die Demos am Montag als "Schande für Deutschland" bezeichnet. "So einfach ist die Antwort nicht", sagte Thierse. Auf "Entheimatungsängste" und Ängste, die der islamistische Terror erzeuge, müsse eingegangen werden.
"Ob wir das alles stemmen können"
###mehr-artikel###Özdemir beklagte unterdessen im Kölner WDR-Radio, dass sich immer mehr Volksparteien in der Zuwanderungsdebatte auf die Argumentation der "Pegida"-Bewegung einließen. "Es wird nicht funktionieren, den Radikalen das Wasser abzugraben, indem man AfD-Politik betreibt", sagte er in Anspielung darauf, dass sich auch Mitglieder der Alternative für Deutschland (AfD) den Demos anschlossen. Diskussionen wie die Debatte um die deutsche Sprache in Zuwandererfamilien führten nur dazu, dass sich AfD-Wähler und "Pegida"-Demonstranten als Vertreter einer schweigenden Mehrheit fühlten, die auch von den großen Volksparteien unterstützt werde.
Die Bundesregierung verurteilte am Montag erneut jegliche Art fremdenfeindlicher Kundgebungen. "In Deutschland ist kein Platz für Hetze gegen Gläubige, für Hetze gegen Religionen, für Rechtsextremismus oder Fremdenfeindlichkeit", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Allerdings müsse man über alle Aspekte der Zuwanderung ernsthaft reden und informieren. Es gebe "Bürger, die Fragen und Sorgen haben, ob wir das alles stemmen können", sagte der Regierungssprecher. Dieser Diskurs sei jedoch etwas ganz anderes, als pauschale Ablehnungen von Menschen anderen Glaubens zu verbreiten.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, machte die deutschen Parteien für die anhaltenden Anti-Islam-Demonstrationen mitverantwortlich. Sie seien eine Folge mangelnder Dialogbereitschaft der Politik, kritisierte Mazyek am Montag im Radiosender Bayern 2 in München. Politiker hätten in der Kommunikation zu den Bürgern versagt. "Wir müssen diese Kommunikation wieder aufnehmen."
"Diffuse Ängste" sind Verharmlosung
Die "Pegida"-Bewegung zeige, dass viele Menschen Angst um ihre Zukunft hätten, sagte der Vorsitzende des Zentralrats mit Sitz in Köln. Die Menschen sorgten sich um ihren Arbeitsplatz und suchten dafür Sündenböcke. Die Rädelsführer der Protestgruppen versuchten, diese Ängste zu instrumentalisieren.
"Pro Asyl" warnte vor einer Verharmlosung der "Pegida"-Demos gegen Flüchtlinge und Muslime. "'Pegida' stelle Menschenrechte wie die Religionsfreiheit und das Recht auf Asyl und damit die Grundlage der Gesellschaft in Frage, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Flüchtlingshilfe-Organisation. "Pegida" versuche offensiv, Rassismus im politischen Diskurs zu etablieren, in dem sie weit verbreitete Ressentiments mobilisiere und diese dann als "demokratische Meinungsäußerung" präsentiere. Wenn Politik und Öffentlichkeit hier verständnisvoll reagierten und die Proteste als Äußerung "diffuser Ängste" verharmlosten, drohe diese Strategie aufzugehen.
In mehreren deutschen Städten finden seit Wochen Demonstrationen der "Pegida"-Bewegung statt, die sich gegen Asylbewerber und Muslime richten. Für Montagabend sind unter anderem Aufzüge in Dresden und Bonn geplant, gegen die jeweils Gegendemonstranten auf die Straße gehen.