Die Ankündigung kam völlig überraschend: Ende Juni erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, seinen vorzeitigen Rücktritt zum 10. November. Schneiders Frau Anne ist schwer krank, der Geistliche will in dieser schweren Zeit bei ihr sein. Bei der Dresdner EKD-Synode erstattet der 67-jährige Ratschef am 9. November seinen letzten Bericht, das Kirchenparlament entscheidet über Schneiders Nachfolge.
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Der "in der Wolle gefärbte Rheinländer", wie sich Schneider einmal nannte, stand seit 2003 bis zu seinem Ruhestand im vergangenen Jahr als Präses an der Spitze der Evangelischen Kirche im Rheinland. Nach dem plötzlichen Rücktritt von Margot Käßmann als EKD-Ratschefin übernahm Schneider im Februar 2010 den Ratsvorsitz und sollte eigentlich die verbleibende Wahlperiode bis Herbst 2015 absolvieren.
An dem Ehrenamt des Ratsvorsitzenden, das er zuletzt von Berlin aus wahrnahm, fand der oberste Repräsentant der mehr als 23 Millionen deutschen Protestanten zunehmend Gefallen. Mit seiner zuhörenden, seelsorgerlichen Art pflegte Schneider nach dem intellektuell brillierenden Wolfgang Huber und der charismatischen Käßmann einen eigenen, kollegialen Führungsstil. Persönliche Eitelkeiten lagen dem Sohn eines Stahlarbeiters ebenso fern wie akademisches Gehabe.
Schon den Studenten störte Ungerechtigkeit
Der fußballbegeisterte Schneider verstand sich als Moderator, als Mannschaftsspieler, der im Team seine Stärken ausspielte. Gesprächspartner berichten, wie er in Begegnungen nicht nur den Kopf, sondern auch ihr Herz erreichte. Diese gewinnende Art trug auch dazu bei, den Gesprächsfaden von EKD und Islamverbänden neu aufzunehmen. Zuvor hatte Schneider muslimische Spitzenvertreter ganz unprätenziös zu sich nach Hause zum Abendessen eingeladen.
Im Dialog mit anderen Religionen, in der Ökumene sowie gegenüber der Politik agierte der EKD-Ratvorsitzende gerne mal im Hintergrund. Er war stets auf Ausgleich bedacht, ohne unterschiedliche Profile zu verwischen. In seine Amtszeit fielen wichtige Entscheidungen auf dem Weg zum 500. Reformationsjubiläum 2017. Trotz ökumenischer Rückschläge sah Schneider auch hier das Verbindende und warb dafür, in der Reformation gemeinsam die "Umkehr zu Christus" zu feiern.
Geboren wurde Nikolaus Schneider am 3. September 1947 in Duisburg. Nach dem Studium in Wuppertal, Göttingen und Münster wurde er 1976 Pfarrer in Duisburg-Rheinhausen, dann Diakoniepfarrer und Superintendent im Kirchenkreis Moers. Ab 1997 rheinischer Vizepräses, übernahm er 2003 von Manfred Kock das Präsesamt.
Der von der 68er-Bewegung geprägte Schneider stand für eine politische und sozial engagierte Kirche, die "Vorposten Gottes in der Welt und nahe bei den Menschen" ist. Zugespitzt äußerte er sich zur Frage der sozialen Gerechtigkeit - wohl sein Lebensthema. Schon den im Arbeitermilieu aufgewachsenen Theologie- und Wirtschaftsstudenten Schneider trieb das Problem der ungleichen Verteilung des Reichtums um. Als Pfarrer demonstrierte er später an der Seite von Bergleuten und Stahlkochern im Ruhrgebiet, die um ihre Existenz bangten. Heute geißelt Schneider markig eine "egoistische Abzockermentalität" unter Managern und fordert eine "Ethik des Genug".
Beim Thema Sterbehilfe den Nerv der Zeit getroffen
Seit über 40 Jahren ist Schneider mit seiner Frau Anne verheiratet. Das Paar lernte sich im Studium kennen, Anne Schneider wurde Lehrerin. Der EKD-Ratsvorsitzende nennt sie seinen "wichtigsten Gesprächspartner, auch in kirchlichen und theologischen Fragen". Eine Glaubenskrise durchlebte das Paar, als die dritte und jüngste Tochter Meike 2005 mit 22 Jahren an Leukämie starb. Die Schneiders verarbeiten den Verlust gemeinsam in einem Buch sowie mit Vorträgen zum Thema Tod und Trauer.
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Vor wenigen Monaten der nächste Schicksalsschlag: Anne Schneider erhielt die Diagnose Brustkrebs. "Jetzt ist eine Zeit, da geht die Liebe zu meiner Frau vor", bekundete der Ratschef. Wenn sie es wünsche, werde er sie sogar zur Sterbehilfe in die Schweiz begleiten, sagte Schneider - gegen seine eigene theologische Überzeugung. Die Äußerungen wurden kontrovers, aber mit großem Respekt aufgenommen. Das Thema Sterbehilfe ist bei weitem nicht das einzige Thema, mit dem Nikolaus Schneider den Nerv der Zeit traf.