Claus Kleber: "Niemand will Frankensteinfood, aber..."

Foto: ZDF/Axel Lischke
Dreh auf einem indischen Reismarkt: genügend Nahrung ist vorhanden.Aber noch immer hungern in Indien Millionen Menschen, während in diesem Lager hunderte Tonnen Reis verrotten.
Claus Kleber: "Niemand will Frankensteinfood, aber..."
Claus Kleber moderiert seit 2003 das "heute-journal" im ZDF. Der 59-Jährige ist aber auch Buchautor und Reporter. Für sein neues Fernsehprojekt, die zweiteilige Dokumentation "Hunger!" und "Durst!", suchte er mit seiner Kollegin Angela Andersen nach den Gründen, warum viele Millionen Menschen auf der Welt nicht genug Wasser und Nahrung haben, und nach Mitteln gegen die Not. Das ZDF zeigt die beiden Folgen des imposant bebilderten Beitrags am Mittwoch, 5. November, um 23.15 Uhr und am Dienstag, 11. November, um 20.15 Uhr.

Herr Kleber, Ihre neue zweiteilige Dokumentation befasst sich mit Hunger und Durst auf der Welt. Wieso gerade dieses Thema?

###mehr-personen###

Claus Kleber: Meine Kollegin Angela Andersen und ich haben uns in den letzten Jahren auf die großen globalen Herausforderungen festgelegt. Nach unseren Filmen über die Atombombe und den Klimawandel schien es uns logisch zu sein, nun die nächste globale Herausforderung zu beleuchten: Wie kann die Menschheit, die in den nächsten Jahren von sieben auf zehn Milliarden wachsen wird, jedem genügend Wasser und Nahrung garantieren?

Ein eher sperriger Stoff...

Kleber: Aber es ist durchaus ein Thema, das sich fürs Fernsehen eignet. Große Ernten, Fischfang, Landschaften von der Trockensteppe Australiens bis zum Dschungel Sierra Leones –  unser Kameramann hat Bilder zum Niederknien gedreht, die den Zuschauer interessieren und hoffentlich aufwecken. Ich habe den Film im Freundeskreis gezeigt, und alle waren überrascht, dass man aus einem Thema, das zunächst erschreckend wirkt, einen so großartigen Fernsehabend machen kann.

Vor ein paar Jahren hieß es noch, das Thema Hunger sei auf dem Rückzug. Wieso hat sich das geändert?

Kleber: Die Menschheit hat es in den vergangenen Jahren zwar geschafft, die Zahl der Hungernden auf jetzt 800 Millionen zu reduzieren. Aber nun geht die Schere wieder auseinander. Die Bevölkerung der Erde wächst dreimal schneller als die Produktion der Landwirtschaft. Wenn wir jetzt nicht versuchen, Vollversorgung mit Wasser und Nahrung zu schaffen, wird es von Jahr zu Jahr schwerer.

"Die Frage nach der Legitimation für genveränderte Getreide muss neu gestellt werden"

Ist diese Vollversorgung überhaupt möglich?

Kleber: Ja, aber nicht, wenn die gegenwärtigen Trends weitergehen. China, Indien und Afrika wachsen sehr rasch – auch was die Ansprüche angeht. Der Fleischverbrauch in China ist raketenartig gestiegen, weil die Menschen plötzlich das Geld und den Anspruch haben, Fleisch zu essen. Wenn das so weitergeht, fahren wir die Sache an die Wand. Aber nicht nur die Inder oder Chinesen müssen das einsehen, wir alle müssen unsere Gewohnheiten ändern.

###mehr-artikel###

Inwiefern?

Kleber: Zum Beispiel indem man neue Nahrungsmittel entdeckt. Auch die Frage nach der Legitimation für genveränderte Getreide muss neu gestellt werden. Niemand will Frankensteinfood, aber dürfen wir wirklich völlig auf diese vielversprechende Technik verzichten? Und man muss weniger Fleisch essen, damit wir von dieser gigantischen Massentierhaltung in den hochentwickelten Ländern wegkommen.

Essen Sie selbst weniger Fleisch?

Kleber: Ja, ich hatte bei den Dreharbeiten ein konkretes Erlebnis in China. Wir haben es die Kuhfabrik genannt, nach chinesischen Maßstäben war es ein mittelständischer Betrieb: 18.000 Kühe, die jeden Tag 400 Tonnen Futter brauchen, um die Lust auf Milch und Fleisch zu befriedigen. Als ich zwischen diesen Tieren stand, die im Grunde Maschinenteile geworden sind, bin ich ins Grübeln gekommen. Ich bin eine fleischfressende Pflanze und werde auch weiterhin gerne mein Steak essen, aber dieses Selbstverständnis, wonach dauernd Fleisch auf dem Tisch liegen muss, habe ich abgelegt.

Bei uns in Deutschland werden fürchterlich viele Lebensmittel weggeworfen.

Kleber: Ja, das ist wahr. Ein Stück Schinken vom Hotelbuffet, das ich vor fünf Minuten beinahe auf mein Brötchen gelegt hätte, ist laut Vorschrift dadurch, dass es in die Küche zurückgetragen wird, für den menschlichen Verzehr ungeeignet und wird vernichtet – während in derselben Stadt Menschen knapsen müssen. Darüber könnte ich mich wirklich aufregen. Es gibt genug Menschen in Deutschland und Europa, für die die Sorge um die nächste Mahlzeit den Tag bestimmt. Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es in Europa 42 Millionen Menschen, die Probleme haben, das nächste Essen für ihre Familie auf den Tisch zu stellen.

"Meine Haltung wurde immer mehr zu Wut"

Normalerweise präsentieren Sie im Studio des "heute-journals" die Nachrichten. Wie war es für Sie, das Leid der von Hunger und Durst betroffenen Menschen hautnah zu erleben?

Kleber: Meine Haltung wurde im Lauf der Dreharbeiten immer mehr zur Wut. In Indien verhungern anderthalb Millionen Kinder im Jahr, sie sterben an Hunger oder an Mangelerkrankungen – und das in einem Land, das sich in der ganzen Welt für seine Wachstumsraten feiern lässt. Dabei haben wir selber erlebt, wie wir mit ein paar Euro für Zuckerlösung und Brei verhindern konnten, dass ein kleines Mädchen stirbt. Nur weil wir zufällig da waren, hat sie überlebt. Es ist mir unbegreiflich, wie die ganze Welt so weggucken kann.

Wollen Sie auch auf Twitter die Werbetrommel für Ihre Dokumentation rühren? Sie haben ja dieses Jahr mit Ihrem Twitter-Account für Furore gesorgt.

Kleber: Ich habe großes Glück gehabt. Ich wollte dieses Medium schon ewig nutzen, um meine Botschaft an den Mann zu bringen, aber kam nie dazu. Dann hat es sich bei meiner Reise zu Hillary Clinton ergeben, und das hat sich als super Startplattform erwiesen. Nun will ich versuchen, auch die Zuschauer auf die Dokumentation aufmerksam zu machen, die "Hunger!" und "Durst!" in der Programmzeitschrift vielleicht überblättern würden.

Können Sie Twitter konkret nutzen, um Ihre Arbeit zu optimieren?

Kleber: Ja, natürlich. Wie kommen Dinge beim Publikum an, wie wird zum Beispiel eine Äußerung des Bundespräsidenten in den Tweets diskutiert? Das ist schon sehr aufschlussreich.

Und wie viele Ihrer rund 130.000 Follower äußern sich zu Banalitäten wie der Farbe Ihrer Krawatte oder dergleichen?

Kleber: Die Äußerungen meiner Follower sind zwar manchmal sehr scharf und sehr kritisch. Aber es geht im Grund immer um meine Arbeit und nicht um meine Krawatten.