Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann plädiert dafür, dass sich die evangelische Kirche mit Martin Luthers Judenhass weiter auseinandersetzt. "Auf der evangelischen Kirche lastet dieses Thema bleischwer", sagte der Reformationsforscher am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse. Kaufmann ergänzte: "Es darf aber am Ende nicht nur der Antisemit Luther übrigbleiben." Er wies darauf hin, dass sich die evangelische Kirche diesem dunklen Kapitel durchaus stelle.
Kaufmann diskutierte auf der Buchmesse mit Reinhard Bingener von der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" über Martin Luther und dessen Verhältnis zum Judentum. Von dem in Göttingen lehrenden Theologen war vor wenigen Tagen das Buch "Luthers Juden" erschienen.
"Luthers Judenhass sticht nicht aus der zu seiner Zeit üblichen Judenverachtung heraus - aber Luther als Person sticht heraus", sagte Kaufmann. Martin Luther (1483-1546) hatte bereits 500 Jahre, bevor in Deutschland unter den Nationalsozialisten Synagogen brannten, verlangt, jüdische Gotteshäuser anzuzünden, Juden zu vertreiben und ihnen den Besitz zu nehmen. Das Besondere sei seine Kehrtwende gewesen, erläuterte der Kirchenhistoriker: Noch 1523 habe der "junge Luther" an seine Mitmenschen appelliert, die Juden unter den Christen leben zu lassen - mit der Absicht, sie zu bekehren. Als diese Hoffnung sich nicht erfüllte, habe sich Luthers Einstellung grundlegend gewandelt.
###mehr-artikel###
Höhepunkt der Hasstiraden des "alten Luther" bildete die 1543 erschienene Schrift "Von den Juden und ihren Lügen". Auch die evangelische Reformationsbotschafterin Margot Käßmann hatte unlängst auf die lange Schuldgeschichte der Kirchen mit den Juden verwiesen.
Kaufmann wies zudem darauf hin, dass Luthers Schriftverständnis heute nicht mehr vollständig übernommen werden könne. "Wir können die Bibel nur historisch verstehen und müssen sie sachgerecht entschärfen", ergänzte der Theologe. Mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 forderte er die evangelische Kirche auf, die Reformation nicht bloß als religiöses Phänomen wahrzunehmen, sondern auch die politischen und ökonomischen Aspekte zu beachten. "Die Reformation als rein religiöses Ereignis darzustellen, ist eine Vereinfachung, die wir in der Reformationsforschung seit Jahrzehnten bekämpfen", erläuterte Kaufmann. Anlass für seine Kritik ist das Grundlagendokument "Rechtfertigung und Freiheit", das die Evangelische Kirche in Deutschland im Frühjahr vorgelegt hatte.