Erstmals hat sich die Diakonie in einem Bundesland für eine Abkehr vom traditionellen kirchlichen Arbeitsrecht und für einen Tarifvertrag entschieden. Nach monatelangen heftigen Verhandlungen unterzeichneten am Freitag in Hannover Vertreter des Diakonischen Dienstgeberverbandes Niedersachsen (DDN) und der Gewerkschaft ver.di einen Tarifvertrag, der bundesweite Signalwirkung haben könnte. Er tritt am 1. Oktober in Kraft und gilt für rund 37.000 Beschäftigte in evangelischen Sozialunternehmen. Der DDN-Vorsitzende Hans-Peter Hoppe betonte, dass sich an den Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zunächst nichts ändern werde. Neu sei allerdings, dass die Diakonie nun direkt mit der Gewerkschaft und nicht mehr mit der Mitarbeitervertretung der Kirchenbeschäftigten verhandle.
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) begrüßte den Tarifvertrag. "Ich würde mich freuen, wenn dieses Pilotvorhaben Nachahmerinnen und Nachahmer findet", sagte er. Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) zollte den Tarifpartnern ihren Respekt. Mit dem Abschluss seien alle Beteiligten einem flächendeckenden Tarifvertrag, der für alle Pflegeanbieter in Niedersachsen gültig sei, einen Schritt nähergekommen. "Unser erklärtes Ziel ist es, Lohndumping, gerade bei tariflich ungebundenen Wettbewerbern, zu unterbinden."
Ver.di-Landesleiter Detlef Athing unterstrich die "hohe Bedeutung" des Vertrags insbesondere für die Pflegebranche. Er sei ein "Fundament" auf dem Weg zu einem allgemeingültigen Tarifvertrag für die insgesamt rund 120.000 Pflegebeschäftigten in Niedersachsen.
Der Einigung war ein jahrelanger erbitterter Streit um die Geltung des kirchlichen Arbeitsrechts vorausgegangen, der bis zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt führte. Im Juni 2013 hatte sich beide Seiten auf Tarifgespräche geeinigt und im vergangenen März eine Sozialpartnerschaft unterzeichnet. "Wir werden auf unserer Bundesebene beäugt und rechnen mit Kritik aus den eigenen Reihen", sagte der Chef der diakonischen Arbeitgeber, Hoppe: "Darum stehen wir unter Erfolgszwang."
Die überwiegende Mehrzahl der diakonischen Landesverbände hält dagegen weiter an dem sogenannten Dritten Weg fest. Dabei werden fast ausnahmslos die Löhne und Gehälter in der Diakonie in kircheninternen Kommissionen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ohne Beteiligung der Gewerkschaften ausgehandelt. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Grundsatzurteil vom November 2012 den Kirchen in dem
Rechtsstreit mit der Gewerkschaft ver.di auferlegt, die Gewerkschaften in Zukunft voll in die Lohnverhandlungen einzubinden.
Die Landeskirchen und ihre Diakonischen Werke kommen mit der Reform ihres speziellen Arbeitsrechts nur langsam voran. Lediglich im Rheinland gilt seit dem 1. April ein modifiziertes kirchliches Arbeitsrecht, das die Gewerkschaften stärker berücksichtigt. Ähnliche Beschlüsse sollen in diesem Herbst in Bayern und Baden-Württemberg fallen. In Hessen, Thüringen und Sachsen-Anhalt lehnen die Mitarbeitervertreter eine kleine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts ab. Sie verlangen Tarifvereinbarungen, wie sie in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst üblich sind.
In Niedersachsen will ver.di den neuen Tarifvertrag sofort nutzen: Ab Montag will die Gewerkschaft die Arbeitgeber zu neuen Verhandlungen aufrufen und für die Beschäftigten 100 Euro plus drei Prozent mehr Gehalt fordern.