Kreuzfahrtschiffe: Die da unten sieht man nicht

Kreuzfahrtschiffe: Die da unten sieht man nicht
Auf Kreuzfahrtschiffen schuften die meisten Seeleute unterhalb der Wasserlinie und für wenige Dollar. Die Passagiere bekommen von der Crew, die das Schiff am Laufen hält, meistens nichts zu sehen. Die Seeleute sind unterbezahlt, überarbeitet und von der Bezahlung der Reedereien abhängig. Nur mit den Billigkräften sind die Massenkreuzfahrten von heute überhaupt möglich.
18.01.2012
Von Hermannus Pfeiffer

Silvia Betti hat ihr Leben einer Kollegin zu verdanken, die sie zum Abendessen mit nach oben genommen hatte. "Ich wollte eigentlich unten in der Kabine bleiben", berichtete die Hostess des untergegangenen Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" im Fernsehen. "Da wäre ich wohl eingeschlossen worden", eingeschlossen wie die Todesopfer, die nun von Tauchern aus dem Schiffsbauch geborgen werden. Die Welt des Lichts und schrillen Glamours in den oberen Decks kriegen nur wenige der bis zu 2.000 Seeleute an Bord eines Luxusliners zu sehen. Ihr Schattenreich liegt tief im stählernen Rumpf unterhalb der Wasserlinie, vor den Blicken der Reisenden verborgen.

Für junge Deutsche bieten Kreuzfahrer oft einen Abenteuerjob: fremde Länder, fremde Kollegen und wechselnde Traumschiffe locken, die Bezahlung ist oft besser als an Land. Und so verpflichten sich Kellner und Golflehrer, Tänzer und Buchhalter für eine Saison. Die Agentur für Arbeit im thüringischen Suhl wirbt um alle, "die sich für einen Job rund um das Meer interessieren". Mancher verlängert nach dem ersten Sommer und mancher in leitender Position, vor allem beim tariflich abgesicherten nautischen Personal auf der Brücke oder im Maschinenraum, bleibt länger an Bord. Die Fluktuation in der saisonalen Branche ist jedoch groß. Reedereien haben daher Mitarbeiterempfehlungsprogramme aufgelegt. "Mit einem attraktiven Bonus belohnen wir unsere Mitarbeiter für die erfolgreiche Vermittlung einer Fachkraft", heißt es bei der Carnival-Filiale "Aida" in Rostock. Entsprechend gut werden Neue bezahlt.

"Du musst um jeden Preis lächeln"

Gewerkschafter beklagen jedoch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Kreuzfahrtindustrie. "So ist es Gang und Gäbe, dass europäische Seeleute nach zirka drei Monaten Einsatzzeit abgelöst werden und sie während des Urlaubs die gleiche Heuer erhalten wie auf See", berichtet die Gewerkschaft Verdi. Zudem sind die deutschen und EU-Seeleute und ihre Familienmitglieder krankenversichert, es gibt Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Weit schlechter sehen die Bedingungen für die Masse der oft weiblichen Mannschaften aus: Reinigungskräfte, Hilfskellnerinnen, Küchenhilfen, Lagerarbeiter, Matrosen und Mechaniker, die im Schiffsbauch tausende Kilometer Rohre bei brütender Hitze pflegen, stammen aus zwei Dutzend Ländern.

[listbox:title=Boombranche Kreuzschifffahrt[Die Kreuzfahrtindustrie gilt in der lahmenden Touristikbranche als lukratives Geschäftsfeld. Sie gehört mit den Flusskreuzfahrten zu den wenigen Zweigen, die rasant wachsen. Nach den USA und Großbritannien ist der deutsche Hochseemarkt weltweit der drittgrößte. Es sind vor allem amerikanische und britische Reedereien, bei denen die Deutschen ihre einwöchige Traumreise verbringen. Auf drei bis vier Gäste kommt im Durchschnitt ein Beschäftigter. Auf der gekenterten "Costa Concordia" arbeiteten planmäßig 1.027 Besatzungsmitglieder bei maximal 3.780 Passagieren. Über eine Million Bundesbürger gönnten sich 2011 ein Traumschiff, 400.000 Bundesbürger eine Flusskreuzfahrt. Gewerkschafter beklagen auch auf Elbe, Oder und Rhein Lohndumping sowie den illegalen Arbeitnehmerverleih über Ländergrenzen hinweg.]]

Diese Seeleute kommen überwiegend aus Osteuropa und Südostasien, vor allem von den Philippinen. 25 Prozent der Seeleute auf den Weltmeeren sind auf dem Inselstaat zu Hause, die meisten sind verheiratet und viele haben Kinder. Recruiting-Büros von Reedereien wie Costa und ihrer US-Mutter Carnival sowie freie Menschenmakler sieben das Personal unter anderem in Manila aus. Dass die überwiegend katholischen Philippinos bei Reedern so beliebt sind, hängt mit ihren engen Familienbindungen und kulturell-religiösen Traditionen zusammen, die sie zu gefügigen Arbeitskräften machen. Außerdem sprechen viele Philippinos ein wenig englisch.

Weltweit arbeiten rund 150.000 Menschen an Bord eines meist unter Billigflagge fahrenden Traumschiffs, schätzt die Internationale Transportabeiterföderation (ITF). Der Boom der Lustreisen habe das Leben an und vor allem unter Bord schwieriger gemacht. "Die Crews arbeiten härter und länger als jemals zuvor", hat die ITF beobachtet. "Doch was immer passiert, wenn du in Kontakt mit den Passagieren kommst, hast du um jeden Preis zu lächeln."

Lennart Johnsson, Pressesprecher einer schwedischen Seeleutegewerkschaft, hat viele Reisen auf die Philippinen unternommen und intensive Gespräche mit Ehefrauen für sein Buch "Seamen's Wives" gesammelt. Eine davon, Legaya, erzählt zum Beispiel: "Mir war klar, dass mein Leben hart und einsam sein wird, wenn mein Ehemann Randy auf See sein wird. Aber mir war auch klar, das er auf See arbeiten muss, um die ganze Familie ernähren zu können."

Unterbezahlt, unversichert, ungesehen

Ihr Leben wird jedoch im Vergleich zu den westeuropäischen Kollegen dadurch erschwert, dass philippinische, thailändische oder ukrainische Seeleute in der Regel zehn Monate von Zuhause fort sind. In den zwei, drei Monaten Pause zwischen den Einsätzen zahlen viele Reedereien keine Heuer. Schrecklich wird es, wenn Kinder krank werden oder ein Angehöriger ins Hospital muss. Die Seeleute haben keinen Kranken- oder Sozialversicherung und sind in der Regel auch nicht rentenversichert.

Vor allem die Discounter unter den Kreuzfahrern, die mit All-inclusive-Preisen von 100 Euro pro Tag kalkulieren, profitieren von dem Arbeitsplatzmangel in vielen Regionen der Welt. Insgesamt arbeiten schätzungsweise 200.000 philippinische Seeleute an Bord von Schiffen; als Seeleute registriert sind allerdings 600.000. Sie alle hoffen, einen Job zu bekommen. Anderseits sind die Jobs auf Kreuzfahrern attraktiver als auf Containerfrachtern und besser bezahlt als daheim: Auf einem philippinischen Fährschiff kriegen Seeleute etwa 300 Dollar im Monat, auf einem internationalen Kreuzfahrer zwischen 800 und 1.800 Dollar (600 bis 1.400 Euro).

Dafür schuften sie bis zu 80 Stunden in der Woche, monatelang ohne einen freien Tag. Geschlafen wird in klaustrophobischen, fensterlosen Minikabinen fünf oder zehn Meter unterhalb der Wasserlinie. Ans Licht dürfen die da unten nur in knappen Pausen auf einer kleinen Freifläche, die verborgen unterhalb der Passagierdecks über dem rauschenden Meer hängt.

So sah es auf der "Costa Concordia" aus - im Werbevideo:


Hermannus Pfeiffer ist Journalist und Wirtschaftsbeobachter in Hamburg.