"Es gibt kein heiligeres Fest, das unsere Kultur und das Wesen unserer nordischen Art widerspiegelt, als die Deutsche Weihnacht. Es gibt kein deutscheres Fest!" Was nach Originalton NS-Regime klingt und an die erste "Volksweihnacht" unter dem Hakenkreuz im Jahr 1934 erinnert, ist ein Zitat aus dem Internet, geschrieben kurz vor Weihnachten 2010. Verantwortlich für die Seite freies-pommern.de ist laut Impressum der NPD-Landtagsabgeordnete Tino Müller aus Mecklenburg-Vorpommern.
Kein Platz in der "deutschen Weihnacht" ist für die Geburt Jesu in Bethlehem, für Maria und Josef oder für die Engel. Die christliche Botschaft des Friedensfestes wird im rechtsextremen Lager radikal umgedeutet, so wie es die Nationalsozialisten in den 30er und 40er Jahren vorgemacht haben: Mit heidnisch-germanischen Mythen und Symbolen wird ein entchristlichtes Weihnachten konstruiert.
"Kein Zweifel", sagt Expertin Judith Breuer, "Rechtsextremisten haben das Weihnachtsfest für ihre Ziele entdeckt." Sie und ihre Mutter Rita zeigen in einer Ausstellung, die seit 13 Jahren durch Deutschland tourt, wie Weihnachten im Lauf der Geschichte von der politischen Propaganda auf unterschiedliche Weise missbraucht wurde. Derzeit ist die Schau "Von wegen Heilige Nacht" in Bad Wildungen zu sehen.
Handgranaten und U-Boote am Christbaum
Besonders wichtig sind der Kuratorin aktuelle Bezüge. "Die Rechtsextremisten versprechen den Menschen eine Rückbesinnung auf angeblich 'uralte Werte' und traditionelles Brauchtum", sagt Breuer. Dass sich dahinter die Ideologie der NS-Zeit verberge, sei für viele Menschen heute nicht leicht zu durchschauen.
Während der NS-Diktatur seien die Weihnachtsbräuche und -Symbole komplett pervertiert worden. Das zeigt auch die Ausstellung: Christbaumschmuck in Form von Soldaten, Handgranaten und U-Booten oder Adventskalender, in denen Lichtersprüche und "arische Sinnzeichen" dominieren.
Ganz nebenbei werde das Weihnachtsfest in der rechtsextremen Szene als angeblich "typisch deutsches Wesensmerkmal" dazu missbraucht, das Phantombild einer "deutschen Volksgemeinschaft" abzugrenzen und rassistische, fremdenfeindliche Tendenzen zu schüren, urteilt die 47-Jährige.
Der "Kulturkreis Freies Pommern" geißelt auf seiner Internetseite den "hirnlosen Konsum" in den "Supermärkten des raffenden Großkapitals" und stellt dagegen den vermeintlich wahren und ursprünglichen Weihnachtssinn: Er lasse sich aus dem Fest der germanischen Wintersonnenwende herleiten. Während der NS-Diktatur begingen SA und SS regelmäßig "Sonnenwendfeiern", auch Neonazis halten diese heute gern ab.
Kritik am Konsum wird zum Anknüpfungspunkt
Die Autoren der rechtsextremen Szene greifen ungehemmt auf NS-Sprache und -Symbolik zurück. Lametta, Glaswerk und Engelshaar gehörten nicht an den grünen deutschen Baum, stattdessen Äpfel, Nüsse und gebackene Runen. Vom "nordischen Rassekreis" ist die Rede, von "heiliger Mutterschaft", von Ahnen, die in den Kindern Auferstehung feierten. Empfohlen wird, den Adventskranz durch einen "Julkranz" zu ersetzen - das Julfest ist historisch das nordeuropäische Fest der Wintersonnenwende, heute ist Jul in skandinavischen Sprachen einfach das Wort für Weihnachten.
Mit ihrer Weihnachtspropaganda erreiche die "Neue Rechte" auch Zielgruppen aus der gesellschaftlichen Mitte, meint Breuer und denkt dabei ebenso an Mitglieder der großen Volkskirchen wie an traditionell eher links gerichtete Kreise aus der Öko-Bewegung und aus der Esoterik - insbesondere Neuheiden und Anhänger von Naturreligionen.
"Ausgerechnet die weit verbreitete Kritik in der Gesellschaft an einem immer stärker konsumorientierten Fest wird dabei zum Anknüpfungspunkt für entsprechende Propaganda", unterstreicht Breuer.
"Geburtstag eines ominösen Herrn Christus"
Dass die Befürchtungen der Ausstellungsmacherin nicht unbegründet sind, zeigt ein Blick ins weltweite Netz. Dort verkündet etwa der NPD-Kreisverband Rhein-Neckar: Die ursprüngliche Bedeutung des Weihnachtsfestes habe nichts mit dem "Geburtstag eines ominösen Herrn Christus" in Bethlehem zu tun, sondern gehe zurück "auf den archaischen Sonnenkult der Urvölker".
Pfarrer Matthias Pöhlmann, ehemaliger Mitarbeiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, kennt die neuheidnische Szene und ihre Vernetzung mit den Neonazis gut. Für gefährlich hält er ihre Akteure besonders dann, wenn sie sich "mit einem religiösen Deckmäntelchen" behängen und darunter "knallharte Blut- und Rassenideologie betreiben". Das Christentum werde als "Religion der Schwäche" verachtet, die "Julfrömmigkeit" als überlegen betrachtet, sagt er.
Auch Judith Breuer beobachtet die Entwicklung seit vielen Jahren. Gerade in jüngster Zeit häuften sich "dubiose Weihnachts-Ratgeber", die in Wortwahl und Argumentation direkt in die Jahre 1933 bis 1945 zurückführten. Die Instrumentalisierung des Weihnachtsfestes durch Rechtsextreme sei eine bislang völlig unterschätzte Gefahr, warnt sie.