Hört man sich in diesen Tagen in der evangelischen Kirche um, so ist oft von einem gewissen Atemholen die Rede. Das turbulente Jahr 2010 mit dem Rücktritt der Ratsvorsitzenden Margot Käßmann ist vorbei, viele Leitungspositionen sind in jüngster Zeit neu besetzt worden, und noch hat die heiße Phase des Reformationsjubiläums nicht begonnen. So ist es ein guter Moment für die EKD-Synode, die am Sonntag in Magdeburg zu ihrer Jahrestagung zusammentritt, ein Thema aufzugreifen, das für die Kirche im beginnenden 21. Jahrhundert von zentraler Bedeutung ist: die Frage der Mission, speziell im eigenen Land.
Der Gedanke der "inneren Mission", wie die diakonische Arbeit im deutschen Protestantismus lange Zeit genannt wurde, entstand im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund einer weitgreifenden sozialen Verelendung, verbunden mit Tendenzen einer Entchristlichung in der Gesellschaft. Beides ist heute aktueller denn je. Als zentrale Aufgabe von Mission bezeichnet es EKD-Ratschef Nikolaus Schneider, Antwort zu geben "auf die tiefen Verlusterfahrungen und Ängste" der Gegenwart. "Was hindert's, dass ich Christ werde?" lautet das Bibelwort aus der Apostelgeschichte, unter dem die 126 Kirchenparlamentarier das Schwerpunktthema beraten wollen.
Kirche will gegen den Trend wachsen
Die Gewinnung von Menschen für den Glauben tut aus Sicht der Kirchen Not – vor allem im Land der Reformation. Allein in den vergangenen fünf Jahren ging die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder um 1,4 Millionen auf 24,2 Millionen zurück. Auch wegen des demografischen Wandels wird bis 2040 ein Rückgang auf 16 Millionen vorausgesagt. Wie die Kirche diesem Trend gegensteuern will, ist im Impulspapier "Kirche der Freiheit" von 2006 nachzulesen. Viele der zunächst umstrittenen Anstöße werden inzwischen umgesetzt. Neben strukturellen Maßnahmen feilt die Kirche an ihren Kernkompetenzen: Gottesdienste und Predigten sollen besser werden, Kompetenzzentren für eine bessere Pfarrerschulung wurden geschaffen.
Bei der Suche nach missionarischen Impulsen fehlt es nicht an Rezepten. Da eine religiöse Verwurzelung im Elternhaus oft nicht mehr gegeben ist, startete die Kirche in diesem Jahr Glaubenskurse für Erwachsene. "Da wird auf eine neue Art über das geredet, was uns als evangelisch ausmacht, auch gerade für die, die am Rand stehen und gerne dazu kommen wollen", sagt Synodenpräsidentin Katrin Göring-Eckardt. In Essen ist ein zu einem winzigen Gotteshaus ausgebautes Kirchentaxi unterwegs, in Hessen wird eine zeltartige Lichtkirche auf Landesgartenschauen und anderen Großereignissen aufgebaut. Ein neuer Draht zu den Menschen, er wird von der Kirche deshalb weiter gesucht.
Viele der Maßnahmen greifen allerdings noch nicht – auch damit wird sich die Tagung befassen. "Obwohl Religion in der Gesellschaft intensiv thematisiert wird und die Kirche sich missionarisch verstärkt engagiert, bleibt die Wirkung begrenzt", heißt es in einem Vorbereitungspapier zur Synodentagung. In Ostdeutschland, wo das Kirchenparlament dieses Mal zu seinen Beratungen zusammenkommt, ist die Lage besonders ernüchternd: Nur noch ein Viertel der Bevölkerung gehört dort einer christlichen Kirche an. In Wittenberg, an der Wiege der Reformation, sind es gerade 17,4 Prozent. "Gut und verständlich von Gott zu reden", auch zu den Kirchenfernen – das sei unglaublich anstrengend, weiß Katrin Göring-Eckardt, die selbst aus Thüringen stammt.
Es ist nicht das erste Mal in jüngerer Zeit, dass sich die EKD der neuen "inneren Mission" stellt. Seit der viel gelobten Leipziger Missionssynode 1999, auf der sich die Protestanten unter dem Motto "Reden von Gott in der Welt" ihres Auftrages vergewisserten, gewinnt das Thema an Gewicht. Kirchensoziologische Studien entstanden, und im Zuge des Reformprozesses "Kirche der Freiheit" entstand an drei Standorten ein "Zentrum Mission in der Region" Im Rahmen der Lutherdekade, die der Vorbereitung des Reformationsjubiläums dient, ging kürzlich das "Jahr der Taufe" zu Ende, das an zahlreichen Orten Anstoß zu innovativen missionarischen Aktivitäten gab.
Kein Rückzug aus Weltverantwortung
Könnte die Betonung der Mission zu einer "Entweltlichung" beitragen, wie sie jüngst Papst Benedikt XVI. der katholischen Kirche in seinem Heimatland empfahl? EKD-Ratsvorsitzender Schneider widerspricht deutlich der Sorge, eine missionarische Kirche könne sich aus ihrer Weltverantwortung zurückziehen: "Ein missionarische Kirche scheut nicht davor zurück, sich für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu engagieren, und sie hat einen langen Atem." Die Kirche verharre nicht in alten Strukturen, ergänzt Göring-Eckardt – es herrschten vielerorts Aufbruchstimmung und der Wille zur Veränderung.
Die Synodentagung wird am Sonntag mit einem feierlichen Gottesdienst im Magdeburger Dom eröffnet. Traditionsgemäß wird der EKD-Ratsvorsitzende anschließend in seinem Ratsbericht einen Rück- und Ausblick auf die gesellschaftspolitischen Herausforderungen und kirchenpolitischen Entwicklungen geben. Dabei dürfte die Nachlese zur ökumenischen Begegnung mit dem Papst im September in Erfurt eine wichtige Rolle spielen. Bei dem Treffen ging es auch um das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017, dessen Planung bereits umrissen ist. Schneiders Vorgängerin Margot Käßmann spielt dabei eine wichtige Rolle: Als EKD-Botschafterin soll sie Menschen auf das Großereignis neugierig machen und internationale Kontakte knüpfen.
Den Link zur Missionsbroschüre des Lutherischen Weltbundes, die auf dem Titelbild zu sehen ist, finden Sie hier.