In Israel steht jedes Jahr am Holocaust-Gedenktag das ganze Land still. In Norwegen war es Ende Juli bei der Schweigeminute für die Opfer der Osloer Anschläge ähnlich. Wie viele Menschen am Samstag in Berlin am 50. Jahrestag des Mauerbaus um 12 Uhr mittags innehalten werden, muss sich noch erweisen. Bei der Schweigeminute zum Abschluss der zentralen Gedenkstunde werden zumindest die Spitzen des Staates in Stille verharren.
Zu der Gedenkstunde an den letzten Mauerresten in der Bernauer Straße werden unter anderem Bundespräsident Christian Wulff und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet. Zahlreiche Veranstaltungen werden an diesem Tag die fast 30 Jahre dauernde Teilung der Stadt in Erinnerung rufen. Die Aktionen reichen von teilweise bereits eröffneten Ausstellungen über Kanuexkursionen auf dem einstigen Grenzabschnitt der Spree bis hin zu der Schweigeminute. Bereits ab Mitternacht werden in der "Kapelle der Versöhnung" der Gedenkstätte an der Bernauer Straße die mindestens 136 Mauertoten im Mittelpunkt einer Marathonlesung stehen.
"Eine Minute für die Freiheit!"
"Allzuoft in diesem Leben gehen wir über neu gewonnene Freiheit hinweg zum Alltag über", begründet die evangelische Pröpstin Friederike von Kirchbach den Aufruf an die christlichen Gemeinden, die Schweigeminute mit dem Läuten vieler Glocken zu begleiten. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sowie die S-Bahn wollen dazu wie schon Anfang 2005 bei der Schweigeminute für die Tsunami-Opfer in Südasien ihre Busse und Bahnen anhalten lassen: "Beim Mauerbau am 13. August 1961 war die BVG das Unternehmen, das ins Mark getroffen wurde, zum Teil kamen nicht einmal die Busse zurück", erklärt Unternehmenschefin Sigrid Nikutta zur Begründung.
Auch bei Senat und Einzelhandelsverband stieß die von Opferverbänden und evangelischer Kirche angestoßene Initiative "Eine Minute für die Freiheit!" auf Zustimmung. Am Haupteinkaufstag der Woche werden sich aber wohl nur wenige Geschäfte daran beteiligen. "Wir befürchten, dass nicht alle unsere Kunden dafür Verständnis haben", heißt es etwa beim Warenhauskonzern Karstadt.
Glaubt man einer aktuellen Meinungsumfrage, so hält jeder zehnte Berliner den Mauerbau noch heute für "nötig und gerechtfertigt". Unter den Anhängern der Linkspartei sind es sogar 28 Prozent, was ihren Berliner Landeschef Klaus Lederer auch nicht weiter überrascht: "Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, die Auseinandersetzung um die Vergangenheit zu führen."
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Open-Air-Ausstellung
Die auch erst nach langen Kämpfen eingerichtete Gedenkstätte Berliner Mauer ist einer der wenigen Orte, an dem dies geschehen kann. Dort wird Bundespräsident Wulff im Anschluss an die Schweigeminute den zweiten Teil der Open-Air-Ausstellung eröffnen. Das komplette Gelände auf dem ehemaligen Todesstreifen entlang der Bernauer Straße wird allerdings erst 2013 dann auf einer Länge von 1,3 Kilometern fertiggestellt sein. Die Gesamtkosten für das Areal beziffert der Berliner Senat auf zwölf Millionen Euro.
Anders als im ersten, 2010 eröffneten Abschnitt ist hier die Monstrosität der Mauer nicht einmal mehr in fernen Umrissen erkennbar. Demzufolge werden die Besucher noch stärker auf die Erläuterungen durch Texttafeln, Videostationen und die großen Fotos an den umliegenden Hauswänden angewiesen sein. Der Verlauf der von der DDR-Führung als "antifaschistischer Schutzwall" bezeichneten Mauer, mit der sie der Flüchtlingswelle aus dem eigenen Land Einhalt gebieten wollte, kann durch eine dichte Reihe von Eisenstangen verfolgt werden.
Umrisse der Grenzhäuser markiert
Die Umrisse der hier Mitte der 1960er Jahre von den DDR-Grenztruppen abgerissenen Grenzhäuser, durch die die Mauer quasi hindurch verlief, sind auf der jetzt entstandenen Grünfläche durch Metallbänder im Erdboden markiert. An einer Stelle konnten größere Reste eines Souterrains freigelegt werden. Rechteckige Platten zeigen den Verlauf von unter der Mauer hindurchgegrabenen Fluchttunneln an.
Viel augenfälliger ist da schon eine große, rote Werbefläche, die den Passanten offenbar den Besuch einer längst aufgegebenen Filiale von "Rudis Resterampe" empfiehlt: "Da kannste ganz schön was rausholen". Die Hauswand, auf der das in großen Lettern steht, gehörte einst zu Ost-Berlin. Die heute wieder sehr verkehrsreiche Bernauer Straße ist Westterrain. Nach Angaben der Gedenkstätte hat der Hausbesitzer auf das Angebot, die Werbefläche für ihn kostenfrei entfernen zu lassen, nicht einmal reagiert.