Im Angesicht der EHEC-Krise streiten Politiker und Experten weiter über eine stärkere Zentralisierung der Seuchenbekämpfung in Deutschland. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ist vorerst gegen neue Strukturen. "Es ist nicht die Frage, ob es nur eine Behörde gibt, sondern es kommt auf die Zusammenarbeit der Behörden an", sagte er vor einem Sondertreffen der Gesundheits- und Verbraucherminister von Bund und Ländern am Mittwoch in Berlin. Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) sprach sich für stärkere Bundeskompetenzen aus.
Weil viele Krankenhäuser durch den Kampf gegen den gefährlichen Darmkeim massiv belastet sind, werden Rufe nach einer Unterstützung der Kliniken laut.
"Es muss uns gelingen, mit einer Stimme zu sprechen, damit die Bürger nicht weiter verunsichert sind", sagte Bahr vor dem Treffen, an dem auch EU-Gesundheitskommissar John Dalli teilnahm. Der "vielstimmige Chor der Spekulationen von Wissenschaftlern und selbst ernannten Wissenschaftlern" habe sicherlich nicht zu Sicherheit und Vertrauen beigetragen. Es sei "so typisch deutsch, dass immer nach einer neuen Behörde gerufen wird bei einem Problem". Nun komme es aber auf Verbesserungen bei der Kooperation und Koordination an. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) wies Kritik am Krisenmanagement zurück: "Die Zusammenarbeit hat funktioniert"
Söder mahnte zu Besonnenheit. Er glaube aber, dass es bei großen Fragen wie Epidemien "durchaus gerechtfertigt ist, dass der Bund mehr Zuständigkeiten übernimmt, möglicherweise sogar mit bundeseigenen Verwaltungsstrukturen". Das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie forderte einen zentralen Regierungskoordinator für das Krisenmanagement beim Auftreten gefährlicher Erreger. Dieser müsse die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien verbessern, sagte Direktor Stefan Kaufmann, der Tageszeitung "Die Welt" (Mittwoch).
Es gab schon einmal das Bundesgesundheitsamt
Der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Gerd Billen, verlangte ein "Krisenmanagement aus einem Guss". Dieses sollte ein mit größeren Kompetenzen ausgestattetes Robert-Koch-Institut übernehmen, sagte er der "Mittelbayerischen Zeitung" (Mittwoch). Die föderale Struktur beim Verbraucherschutz behindere die Aufklärung bei Lebensmittelkrisen. Sobald der EHEC-Fall ausgestanden sei, müssten die Institutionen neu aufgestellt werden.
Niedersachsens Gesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU) sagte dagegen: "Eine neue Institution zu schaffen, sorgt nicht dafür, dass die Bürger schneller und besser versorgt werden." Auch der rheinland- pfälzische Verbraucherminister Jochen Hartloff (SPD) wandte sich gegen eine zentrale Seuchen-Polizei im Bund. Bahr erinnerte daran, dass es eine zentrale Koordinationsstelle - das Bundesgesundheitsamt - bereits gab. Dessen Zuständigkeiten wurden aber 1994 im Zusammenhang mit HIV-verseuchten Blutpräparaten aufgeteilt.
Die Epidemie reißt Löcher in die Budgets von Krankenhäusern. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) forderte, alle EHEC-Fälle müssten außerhalb des vereinbarten Budgets zum vollen Preis abgerechnet werden. Mehrere Landesminister riefen dazu auf, die Krankenhäuser nicht auf Mehrkosten sitzen zu lassen. Angesichts der leichten EHEC-Entspannung in Hamburg nimmt das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) inzwischen auch wieder andere Notfälle auf.
Für die Behandlung wird mehr Blutplasma gebraucht
Mediziner der Universitätskliniken Greifswald und Bonn haben derweil Hinweise auf die Ursache schwerer Verläufe bei EHEC-Patienten mit dem HU-Syndrom gefunden. Vieles deute darauf hin, dass neben dem Giftstoff Shigatoxin auch die Bildung von Autoantikörpern für schwere Schädigungen verantwortlich sei, sagte der Transfusionsmediziner Andreas Greinacher aus Greifswald. Autoantikörper sind Antikörper, die sich nicht gegen fremde sondern gegen körpereigene Stoffe richten. Sie verursachten einen Anstieg eines Gerinnungsfaktors, wodurch die Durchblutung wichtiger Gehirnregionen und der Nebennieren eingeschränkt sei. Sie werden nur von einigen EHEC-Patienten gebildet.
Inzwischen wurden erste schwer erkrankte Patienten mit einer speziellen Blutwäschetherapie behandelt: "Die ersten Entwicklungen bei den Blutwerten stimmen uns optimistisch", hieß es aus Greifswald. Der Schwachpunkt dabei ist die Versorgung mit Plutplasma. Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) rief erneut zum Blutspenden auf: In den vergangenen drei Wochen seien allein am UKE mehr als 6.000 Plasmakonzentrate für die Versorgung der HUS-Patienten eingesetzt worden, berichtete eine Sprecherin.
"Das entspricht etwa der Menge an Plasma, die sonst in drei bis vier Monaten gebraucht wird." Die Reserven müssten vor allem mit Blick auf die nahenden Sommerferien möglichst schnell wieder aufgefüllt werden.